Russland soll gebären und marschieren

In seiner Rede zur Lage der Nation konzentriert sich Russlands Präsident Putin auf Demografie und Verteidigung

MOSKAU taz ■ Demografie und Verteidigung waren die zentralen Themen, denen sich Präsident Wladimir Putin in seiner siebten Rede zur Lage der Nation seit Amtsantritt 2000 ausführlich widmete. Über 1.000 Gäste waren zum Lagebericht in den Marmorsaal des Kreml geladen. Laut Gerüchten war der Auftritt des Präsidenten mehrfach verschoben worden, weil ihm die Redeentwürfe nicht gefielen.

Dem jährlichen Bevölkerungsrückgang von 700.000 Menschen will Putin mit einem umfangreichen Sozialpaket begegnen, das jungen Familien und Frauen mehr Anreize für Geburten bieten soll. Mehr als eine Viertelstunde des sechzigminütigen Auftritts hielt sich Putin mit Förderdetails auf. „Liebe, Kinder und Familie“ seien die wichtigsten Dinge im Leben, meinte Putin und wandte sich – in offensichtlich inszenierter Spontanität – an einen seiner potenziellen Nachfolger, Sergej Iwanow. „Wer wüsste das nicht besser als der Verteidigungsminister?“, fragte der Kremlchef, während das gleichgeschaltete Staatsfernsehen den Minister aus dem Heer der Zuhörer groß ins Bild holte.

Der Demografie folgte das Verteidigungsthema. Die direkte Verknüpfung von Gebär- und Verteidigungsbereitschaft fand auch bei den versammelten Politikerinnen ausnahmslos Zustimmung. In der Erörterung der russischen Verteidigungsbereitschaft wurde Kritik an den USA und dem Westen laut, ohne dass Putin die Adressaten indessen beim Namen nannte. „Wo bleibt all das Pathos für die Achtung von Demokratie und Menschenrechten, wenn es um die Wahrung ihrer eigenen Interessen geht?“, fragte Putin. „Kamerad Wolf weiß, wen er zu fressen hat. Er frisst, ohne hinzuhören, und hat auch nicht vor zuzuhören“, fabulierte der Präsident. Damit konnten nur die USA gemeint sein, die Putin nochmals davor warnte, im Atomstreit mit Iran militärische Maßnahmen zu ergreifen.

Überdies beklagte Putin eine Tendenz zu Konflikten, die sich auch „auf die Zone unserer vitalen Interessen ausdehnen“. Damit spielte der Kreml auf den Kaukasus, Zentralasien und die ehemaligen Sowjetrepubliken an. Der Gemeinschaft der Unabhängigen Staaten (GUS) gilt das Hauptaugenmerk der zukünftigen russischen Außenpolitik, betonte Putin. „Ich weiß, einige würden es gerne sehen, wenn Russland in diese Probleme hineingezogen würde und die Fähigkeit verlöre, die Probleme einer grundsätzlichen Lösung zuzuführen.“

Verschwörungstheoretische Untertöne klangen häufig an. Dabei schien der Kreml eigentlich den USA und dem Westen signalisieren zu wollen, dass Moskau nach einer längeren Schwächeperiode wieder in der Lage sei, an vorderster Stelle in der internationalen Politik mitzuspielen, und über ausreichend Ressourcen zur Selbstverteidigung verfüge. Je stärker Russlands Armee, so Putin, desto geringer sei die „Verlockung, außenpolitisch auf uns Druck auszuüben“ und „auf unsere Kosten eigene Positionen zu stärken“. Besonders wichtig sei es daher, als Nuklearmacht die strategische Balance aufrechtzuerhalten.

KLAUS-HELGE DONATH