Entspannt euch, es sind bloß Gespenster

Eingängig wie nie: Auf „Three“, dem dritten Album ihres Duo-Projekts Phantom/Ghost, nehmen sich Dirk von Lowtzow und Thies Mynther Urlaub vom Ich

VON THOMAS WINKLER

Die Frühlingsluft ist erfüllt von Vogelgezwitscher und Babygeschrei. Im Volkspark am Friedrichshain ballen sich nicht mehr ganz junge Mütter zu Pulks. An diesem Nachmittag im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg scheint die Vergreisung der Republik nur mehr ein bösartiges Gerücht. Unweigerlich stellt man sich vor, dass Dirk von Lowtzow, wenn er um die Ecke biegt, auch einen Kinderwagen vor sich her schieben müsste.

Natürlich kommt er allein. „Nein, nein“, lacht er, „so weit ist es noch nicht.“ Seit 2003 lebt er nun – nach sechs Jahren des Pendelns zwischen Hamburg und Berlin – hier mit Blick auf den bei Eltern so beliebten Park, hat mit 35 Jahren auch das im Alternativbezirk akzeptierte Alter zur Vaterschaft erreicht, aber statt Kindern macht er immer noch lieber Schallplatten.

Hört man „Three“ (Lado), das neue Album von Phantom/Ghost, von Lowtzows gemeinsamem Projekt mit Thies Mynther, könnte man allerdings meinen, er habe zumindest eine gewisse väterliche Altersmilde erreicht. Selten zuvor und ganz bestimmt nicht in seinem Hauptberuf als Sänger von Tocotronic war von Lowtzow jemals so sanft, so romantisch, so verspielt, ja, auch so eingängig. „Wir wollten diesen warmen Klang“, sagt er. Auf den beiden ersten Veröffentlichungen hatte das Duo noch versucht, „eine Hybridform zwischen Track und Song“ zu schaffen, Tanzbares mit Popstrukturen verbunden. Nun hatte man das Gefühl, damit „an eine Grenze gestoßen zu sein“, begab sich auf die Suche nach neuen Experimentierfeldern und stieß – ausgerechnet auf das Kunstlied.

Wenigstens in zwei Stücken scheinen Schubert und Schumann nicht weit. In diesen offenbart Mynther, der sonst als Produzent für Chicks on Speed und als Keyboarder von Stella und Superpunk reüssiert, ungeahnte Qualitäten als Klaviervirtuose, während von Lowtzows Stimme sich an für ihn ungewohnt kapriziösen Melodien versucht und diese tatsächlich so selbstverständlich schwebend beherrscht, dass das Schrammelpop-Image von Tocotronic endgültig gegen den Strich gebürstet wird. „Uns war bewusst, dass es diese Wirkung haben würde“, gibt von Lowtzow beim Cappuccino zu, „aber wir sehen uns nicht als die Erben des Kunstliedes.“ Eher diagnostiziert er bei Phantom/Ghost einen grundsätzlichen Hang „zum Theatralischen, zum Vaudeville“, und reklamiert einen spielerischen, ungeplanten Umgang mit solchen Einflüssen: „Zufälligkeiten spielen eine große Rolle bei uns, ich bin kein großer Freund der Intention. Wir schmeißen alles in einen Topf, das ist schon sehr eklektisch. Ich muss mir oft auch erst hinterher selber erschließen, was schließlich draus geworden ist.“

Aber auch wenn nicht absichtsvoll so geplant, ist „Three“ doch eine demonstrativ liedhafte Platte geworden. Zwar entstand sie bis auf die beiden Klavierstücke komplett am Computer, aber auch die digitalen Songs atmen diesen Geist, während die auf den ersten beiden Alben noch durchaus virulenten Beats kaum noch zu hören sind, sondern nur mehr als fahle Schatten ihrer selbst durch die Tracks wehen. Womit sie sich sorgsam einordnen in eine lange Reihe an musikalischen Einflüssen, die hören kann, wer will: „Die Hälfte der Musik setzt sich ja sowieso erst im Ohr des Konsumenten zusammen“, sagt von Lowtzow. Also sammelt man Ahnungen, neben anderen, von keltischer Musik, der Incredible String Band, vom französischen Chanson, Liza Minelli und „life is a cabaret“, Kinderlieder, vielleicht sogar von mittelalterlichen Mönchschören. „Relax, it’s only a ghost“, singt von Lowtzow, „try to be its host“, und formuliert damit auch das Prinzip von Phantom/Ghost.

Beeinflusst ist diese Arbeitsweise, so der gelegentlich für Texte zur Kunst schreibende von Lowtzow, von der Appropriation Art, der Kunst, „sich Sachen anzueignen und dann in die eigene Kunst zu integrieren“. Das ist verspielt und durchaus humorvoll, fast parodistisch, hat etwas Kindliches, ist aber doch nicht simpel, vor allem aber eine Methode, die dieser Tage, glaubt zumindest der bekennende „Vulgär-Roland-Barthianer“ von Lowtzow, kaum noch modern wirkt, da das Land unter einem „Authentizitäts-Zwang“ ächze. Selbst ausdrücklich künstliche Formate wie Casting-Shows kokettieren mit einer zumindest postulierten Wahrhaftigkeit und deutsche Popbands verkaufen sich darüber, dass ihr garantiert authentischer Gefühlshaushalts eine möglichst große Schnittmenge mit dem ihrer Fans erreicht. Von Lowtzow und Mynther, die sich das Songwriting für Phantom/Ghost brüderlich teilen, finden das unterfordernd, schreiben stattdessen lieber Englisch, auch weil das „wie Urlaub vom eigenen Ich“ ist, und zitieren aus einem in Jahrzehnten angehäuften Wissensschatz, bei dem „die Unterscheidung zwischen High- und Low-Kultur keine Rolle spielt“. So stehen nun Referenzen auf Literatur, Filme und Popmusik friedlich neben solchen auf TV-Serien. Der Protagonistin von „Buffy“ hat von Lowtzow – nach Ansicht von 152 Folgen im Original – die Hymne „Willow“ geschrieben: „Diese DVD-Boxen sind großartig, das hat was von ‚Auf der Suche nach der verlorenen Zeit‘.“