Berkman siegt, Berkman unterliegt

Von einer Scheidung im Brooklyn der 80er-Jahre erzählt Noah Baumbachs Film „Der Tintenfisch und der Wal“

Jemand muss Jeff Daniels übersehen haben. Oder waren es wir alle? Sein neuer Film spielt in den Achtzigern, da war „wir alle“ immer die richtige Antwort, sobald es um Schuld ging. Damals fing es auch an mit seiner Karriere, aus der nie so richtig etwas wurde. Doch wer so unterschiedliche Interessensgebiete wie das Melodram und die Fäkalkomödie abdeckt, liebt Jeff Daniels. Er war sowohl der psychisch labile Ehemann einer krebskranken Debra Winger in „Zeit der Zärtlichkeit“ (1983) als auch der Typ auf dem Klo in „Dumm und dümmer“ (1994). Erst in der heillosen Kombination, also in der Rückschau, erschließt sich sein zutiefst melancholischer Trottelcharme, sein Talent als tragikomischer Held, das sich im schlaffen Hundeblick nicht erschöpft. Doch den einen großen Film hat es nie gegeben. Zuletzt besetzte ihn George Clooney in „Good Night, and Good Luck“ als besseren Komparsen.

Die Chance zur Neuentdeckung bietet sich nun im Rahmen eines kleinen, gleichwohl exzellenten Independentfilms. Daniels spielt den – natürlich – gescheiterten Buchautor und Literaturprofessor Bernard Berkman, Vater zweier Söhne und Gatte einer Frau, die sich abwendet. Beim Kennenlernen wird er sie beeindruckt haben mit seinem Literatenintellekt und den leicht blasierten Daniels-Gesichtszügen des blonden WASP, die er mittlerweile hinter einem monströsen Dichterbart versteckt. Doch als pater familias taugt er nicht. Nicht einmal in Brooklyn anno 1986. Joan (noch zurückgenommener als sonst: Laura Linney) demütigt ihn nicht nur durch eine Affäre, sondern überholt ihn auch noch als Autorin. Der New Yorker, das hat er nie geschafft. Wie es um die Familie bestellt ist, zeigt das Tennisdoppel am Anfang: Bernard und sein älterer Sohn Walt massakrieren Joan und den kleinen Frank. Die Scheidung wird kurz darauf beschlossen. Wobei sich an der Aufstellung nichts ändert: Walt zieht in die karge Bude des Vaters, der an der Netzkante Unterhalt zu scheitern droht, Frank bleibt bei der Mutter. Die Katze, über die keine Vereinbarung getroffen wurde, fliegt als Ball hin und her.

Scheidungskinder werden sich hier wiedererkennen. Es dürfte daran liegen, dass Autor und Regisseur Noah Baumbach eines von ihnen ist. Von Loyalitätskonflikten überlagerte Hilflosigkeit, Verlustängste, Wut, Trauer – Baumbach hat alles durchgemacht. Wie schmutzig die Sache werden kann, weiß er auch. Die schmutzige Solidarität von Vater und Sohn konstituiert sich zunächst übers Tennis, die Liebe zu John McEnroe und Jimmy Connors (über Ilie Nastase sind sie sich nicht einig). Bald begeht Bernard den großen Fehler, Walt mit intellektueller Munition zu rüsten, um Mädchen zu imponieren (ein Buch von Kafka sollte man nun mal nicht als „kafkaesk“ bezeichnen). Schmutzig ist die Kumpanei, weil sie auf Kosten der Mutter geht: Die Liebe zu seinem Tennislehrer macht sie für Walt zur „Hure“. Schon blöd, wenn man als Adoleszent nicht nur mit der eigenen erwachenden Sexualität zu kämpfen hat, sondern auch noch mit der der Eltern. Der völlig verstörte Frank entdeckt derweil die Masturbation und verteilt seinen Samen in der Schulbibliothek.

Der Film ist eine Kaskade kleiner Peinlichkeiten und Demütigungen, die alle erfreuen, nur nicht die Beteiligten, und in die sexuelle Konkurrenz von Vater und Sohn münden, als Bernard sich aufs Allererbärmlichste mit einer Studentin einlässt. Wer bei diesen familiären Verkrampfungen an Wes Anderson denkt, liegt nicht verkehrt. Baumbach hat „Die Tiefseetaucher“ geschrieben. Nun hat Anderson für ihn produziert. Anstelle des rätselhaften Titels, der sich im Schlussbild erklärt, hätte er seinen Film auch The Royal Berkmans oder Baumbachs nennen können, kommt aber ohne die für Anderson typischen mythopoetischen Überhöhungen aus. Die Altersweisheit des gereiften Hipsters drückt sich im Gegenteil sehr konkret aus: Scham über die jugendliche Beschränktheit seines Alter Ego Walt, leises Verständnis für den katastrophalen Vater. Vor allem aber ist „Der Tintenfisch und der Wal“ ein Film, der anders als Andersons Werke nicht nur in den Achtzigern spielt, sondern auch so aussieht: ein stimmiges New-York-Porträt aus dem geistig noch in den Siebzigern steckenden Milieu von Woody Allen und „Kramer gegen Kramer“. Der leicht verlebte Look ist eine Frage billigen Materials und des Gesichts von Jeff Daniels. Es hat einen Zug zur Bitterkeit, die diesem bittersüßen Film gut steht. Hoffentlich kommt er darüber hinweg. PHILIPP BÜHLER

„Der Tintenfisch und der Wal“. Regie: Noah Baumbach. Mit Jeff Daniels, Laura Linney u. a. USA 2005, 81 Min.