zwischen den rillen
: Aus der Socke geschüttelt

Genau deshalb ein großer Wurf: Auf „Stadium Arcadium“ hören sich die Red Hot Chili Peppers an wie auf den vorherigen Alben

Die Ersten fangen schon an zu mosern. Auf dem Schulhof erzählen Elftklässler anderen Elftklässlern, die neue von den Chili Peppers, die sei ja eher nicht so toll, die sei sogar langweilig und öde, das höre man ja schon an der Single. Der dazugehörige Videoclip sei immerhin ansehnlich. Auch einige Kritiker haben bereits Ähnliches geäußert und selbst im Forum auf der deutschen Website der Band findet sich zwischen den pflichtschuldig begeisterten Kommentaren immer wieder Blasphemie: „Alles sooo langsam, alles sooo eintönig“, postet da ein enttäuschter Altfan, jemand anders ist „absolut enttäuscht“ und ein dritter Anhänger findet, dass „der Funken nicht so rüberspringt“.

Ein klassischer Fall von enttäuschter Produkterwartung durch eine Qualitätsware: Klingen doch sowohl „Stadium Arcadium“, das Album, als auch „Dani California“, die Single, genau so wie die Red Hot Chili Peppers seit nun schon sieben Jahren klingen. Damals, im Jahre 1999, hatten sie ihre ersten Flegeljahre mit der Fusion aus Punk und Funk hinter sich gelassen, das Heroin dann doch noch überstanden und nicht nur den zwischenzeitlich mit Depressionen ausgestiegenen Gitarristen John Frusciante wiedergefunden, sondern auch Yoga, Fitness und Vollwerternährung: „Californication“ etablierte die Red Hot Chili Peppers endgültig als weltweit gefragten Markenartikel. 2002 bestätigten sie mit „By The Way“ den immensen Erfolg. Aber 2006 scheint Hochleistungsrockpunkfunkpop für manchen nicht mehr aufregend genug zu sein, sondern nur mehr Stagnation auf höchstem Niveau.

Dabei ist „Stadium Arcadium“ wie gewohnt voller potenzieller Hits und fieser kleiner Ohrwürmer, voller flockig synkopierter Funksongs und selbstvergessen schwebender Rocksongs. Voller hysterisch sinnloser Raps und grandios zuckender Bassläufe, dreister Tanzbeinschwinger und herzerwärmender Balladen. Voller Melodien, für die manch andere Band ihre Seele verkauft hätte, und voller Hippie-Feeling und Hardcore-Seligkeit, Romantik und Witz, Liebe und Schmerz. Das alles wird wie üblich von den vier aus Kalifornien aus der Socke geschüttelt mit unverschämt leichter Hand, mit einer selbstverständlichen Souveränität und Selbstsicherheit, für die man töten möchte.

Das fängt an mit dem Albumtitel und der futuristischen Covergestaltung, die jeweils auf ihre Art auf den Stadionrock der Siebzigerjahre verweisen und mithin den Status der Band ironisch kommentieren, und hört damit auf, dass man fast jedem Stück einen der mittlerweile nahezu klassischen Songs von „Californication“ zuordnen könnte. Damals haben die Chili Peppers die Blaupausen gezeichnet, jetzt produzieren sie die bewährte Ware in Serie.

Das Ergebnis: „Stadium Arcadium“ ist ein Doppelalbum-Riesendings mit 28 Songs geworden. Und weitere zehn Lieder sollen, so behauptet die Band, aufgenommen worden sein, es aber leider nicht auf die endgültige Albumfassung geschafft haben. Ursprünglich waren sogar drei Platten geplant, die mit jeweils sechsmonatigem Abstand veröffentlicht werden sollten.

Ein großer Wurf also, ein Oeuvre, ein Werk, ein Monster, dieses neunte Studioalbum der Red Hot Chili Peppers im 23 Jahr ihres Bestehens. Aber eine kreative Entwicklung, die ist nicht wirklich festzustellen. Bestenfalls ließe sich noch diagnostizieren, dass der auf „By The Way“ noch arg vernachlässigte Funk nun wieder deutlicher nach vorne drängt, oder dass der bewährte Rick Rubin, der längst ein fünftes Bandmitglied geworden ist und mal wieder am Mischpult saß, sogar noch luftiger als sonst produziert hat.

Aber warum ein Erfolgsrezept aufgeben, wenn man es geschafft hat, eine von vielleicht dreieinhalb Rockbands weltweit zu werden, die gefühlte 94 Prozent der Bevölkerung augenblicklich erkennen? Weil der Kapitalismus sagt, dass Stillstand nur Rückschritt sei? Warum eine neue Produktlinie entwerfen, wenn der alte Kram noch so prima, so glänzend, so wundervoll funktioniert? THOMAS WINKLER

Red Hot Chili Peppers: „StadiumArcadium“ (Warner)