Nigeria im Griff der Pipeline-Diebe

Bis zu 250 Tote forderte die Explosion einer Benzin-Pipeline auf Insel vor Lagos. Regierung verschärft Sicherheitsvorkehrungen, aber das Problem des organisierten Diebstahls von Ölprodukten in Nigeria bleibt. Spekulationen über Unglückshergang

AUS LAGOS HAKEEM JIMO

Für den sonntäglichen Kirchgang blieb Nigerias Polizeichef nicht viel Zeit. Um halb zwölf jagte Generalinspektor Sunday Ehindero bereits aus dem Lagoser Residenzviertel Ikoyi hinaus nach Ilado, wo bei einer verheerenden Pipeline-Explosion am Freitag nach vorläufigen Zählungen 250 Menschen ums Leben gekommen waren. Er war schon am Vortag zum Schauplatz der Tragödie gekommen. „Ich sehe, dass viel an dieser Pipeline herumgeflickt wurde“, erklärte er hinterher. „An mehreren Stellen wurde sie angebohrt, um Benzin anzuzapfen.“ Das auslaufende Benzin habe dann Feuer gefangen. Ein Sprecher der staatlichen Erdölbehörde NNPC erklärte, dass erst kürzlich an dieser Stelle acht Löcher repariert worden waren. Wenig später bohrten die Benzindiebe fünf neue.

Die Fotos der Überreste der Feuersbrunst, teilweise auf den Titelseiten der Tageszeitungen, würden in Europa wohl auf den Index kommen. Viele der Opfer wurden bis zur Unkenntlichkeit verkohlt. Am Samstag wurde das erste Massengrab gefüllt. Nicht einmal die Angehörigen der Opfer reklamieren die Leichen, weil sie Angst vor Repressalien der Behörden haben.

Ilado ist eine Insel in der Lagune von Lagos, der Wirtschaftsmetropole Nigerias, und ist von Lagos aus mit einem Schnellboot in gut zehn Minuten zu erreichen. Hier verläuft die angebohrte Pipeline, die Benzin aus Raffinerien in anderen Teilen des Landes in die Depots Südwest-Nigerias pumpt. Ganz Nigeria ist durchzogen mit Pipelines. Teilweise transportieren sie Rohöl aus den Fördergebieten im Süden über tausende Kilometer zu Raffinerien im Norden, teilweise dienen die Pipelines der direkten Benzinversorgung.

Bereits im vergangenen Jahr starben in Ilado bei einer Explosion 100 Menschen. In ähnlichen Unglücksfällen kamen in ganz Nigeria in den vergangenen Jahren etwa 2.000 Menschen um. Der schwerste Zwischenfall ereignete sich 1998 im Ort Jesse im Niger-Flussdelta, als mehr als 1.000 Menschen verbrannten.

Nigerias Präsident Olusegun Obasanjo orderte als Erstes mehr Patrouillen an. Viele Ölpipelines in Nigeria verlaufen ungeschützt durch abgelegene Gemeinden. Organisierter Diebstahl von Benzin aus den Rohren ist Sache krimineller Banden, die gewöhnlich arme Dorfbewohner dafür einsetzen. Diese bekommen für das Benzinschöpfen etwas Geld von den bewaffneten Hintermännern. Sie stehen dann mit Plastikkanistern knöcheltief im Benzin. Dutzende drängeln sich um die Lecks. Wenn es knallt, kommt jede Hilfe zu spät. Am Freitag soll der Feuerradius etwa 20 Meter betragen haben.

Polizisten fanden am Tatort kleine Knallkörper. Diese werden hier „Knockout“ genannt und gelten als Kinderspielzeug. Berichten zufolge könnte die Explosion ein Akt der Rache einer rivalisierenden Gruppe gewesen sein. Auch die Rolle der Sicherheitskräfte ist unklar. Eine der verbrannten Leichen trug eine Polizeiuniform, und ein Polizeiposten liegt nur 50 Meter weiter weg. Warum die Wasserschutzpolizei gegen die Diebe nicht einschritt, konnte Polizeichef Ehindero nicht erklären.