PETER UNFRIED über CHARTS
: Danke, Udo

Der Mann, der die Welt ein bisschen lockerer gemacht hat: Zum 60. Geburtstag von Udo Lindenberg

Im St. Pauli Theater von Hamburg stand unlängst der Hiphopper Denyo und hieß sein Publikum, sich mal schön „locker“ zu machen. Das ist ein sehr vernünftiger Ratschlag, den man manchem geben möchte und leider auch sich selbst.

Jedenfalls: Während Denyo dann die ersten Takte von „Du bist Hamburg“ spielte, musste ich an jenen Musiker denken, der die Welt tatsächlich lockerer gemacht hatte. Das muss in den 70er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts gewesen sein.

Düdndüdü.

Nichts gegen Neil Young. Aber der Musiker, der WIRKLICH existenziell war, ist ohne Zweifel Udo Lindenberg. Jedenfalls für mich. Hoch im Norden, hinter den Deichen wurde er am 17. Mai 1946 geboren. Beziehungsweise eigentlich in Gronau, Westfalen. Das war eine Stadt, deren beste Straße aus ihr hinaus führte. Bei uns war das ja ganz genauso.

Für die Jugend von heute ist aber vermutlich schwer nachzuvollziehen, was Udo Lindenberg wichtig machte. Wenn man heute die Texte liest, schüttelt es einen. Und ich meine nicht den späten, ich meine den essenziellen (bis „Udopia“, 1981). Abrechnungen mit Hitler, dem Papst, Helmut Schmidt und diesen ganzen „Spießern“?

Kleine Textprobe aus: „Wozu sind Kriege da?“ „Habt ihr alle Milliarden Menschen/ überall auf der Welt/ gefragt ob sie das so wollen/ oder geht’s da auch um Geld?/ Viel Geld für die wenigen Bonzen/ die Panzer und Raketen baun/ und dann Gold und Brillanten kaufen/ für ihre eleganten Fraun.“

Hm.

Was man für politisch hielt, klingt beim Testhören heute nur populistisch. Was man für romantisch hielt, klingt kitschig. Was man für witzig hielt … Gott, oh Gott: „Angeilika“ statt Angelika und so’n Zeug. Das ganze „Panik“-Gerede, die „Panik-Partei“, die Eigeninszenierung zu einem fantastischen Super-Udo, der in den Songs Ausmaße eines Rockgiganten annahm, die er im wirklichen Leben nicht hatte.

Tja, auch hier gilt, was für Rudi Dutschke und (begrenzt) für Ulrike Meinhof gilt: Man kann Lindenberg nur verstehen, wenn man ihn als Teil seiner Zeit versteht.

Dann ist es ganz einfach: So einen wie ihn gab es vorher nicht. So einer wurde gebraucht. Von Jungs mehr als von Mädchen. Im Prinzip haben wir unsere Jugend ja damit vergeudet, nach dem Fußball am Feuer zu sitzen und billiges Bier zu trinken. Dazu Lindenbergs Lieder zu singen, die man alle auswendig kannte. Hätte man damals schon kapiert, dass die wahren Abenteuer im Kopf sind, wäre alles anders gekommen bzw. nicht. Man hätte es aber gerade durch Lindenberg kapieren können, ja müssen.

Lindenberg sah ich zum ersten Mal an einem regnerischen Nachmittag. Im Fernsehen. Da lief eine neue Musiksendung, die von einem jungen, blonden Typen aus Kulmbach moderiert wurde, der eigentlich beim BR Popmusik ansagte. Lindenberg fuhr da mit einem Oldtimer über den Nürburgring und playbackte. Erster Satz: „An den Boxen steht Nora Nagelmann/und reckt den Hals wie ’ne Giraffe.“

Riki Masorati.

Mit dem Bleifuß.

So könnte man weiter rummachen, auch an den Mädels, die in dieser Sekunde ins Bild kommen, da ich mich wieder erinnere. Man könnte seufzen, bis schlechte Popliteratur draus würde oder noch Unnötigeres. Also nur dies noch: Wenn mancher heute nicht mehr am Feuer sitzt und Bier saufend und Lindenberg singend vor sich hin seufzt, so ist das auch auf Udo Lindenberg zurückzuführen.

Lindenberg, was immer an seinem 60. Geburtstag von ihm real existierend übrig ist, hat also seine Schuldigkeit längst getan. Was mich betrifft, so kann ich nur sagen: Danke, Udo.

*

Lindenberg-Alltime-Top-Ten

1. Radiosong

2. Cello

3. O-Rhesus-Negativ

4. Cowboy-Rocker

5. Schneewittchen

6. Bodo Ballermann

7. Bett Män

8. Riki Masorati

9. Kugel im Colt

10. Reeperbahn

Sie spielten Cello? kolumne@taz.de Morgen: Michael Streck TRANSIT