Alt werden, ohne Angst zu haben

Alt und Jung unter einem Dach: Im Mütterzentrum Salzgitter und einem benachbarten Wohnhaus leben und wohnen verschiedene Generationen zusammen. Jeder kann sich mit seinen Fähigkeiten einbringen

SALZGITTER taz ■ Angelika Blut hat ihr Wohnglück gefunden. Mitten in der Malocherstadt Salzgitter. Dort lebt sie seit 1999 in einem schmucken Mehrfamilienhaus der städtischen Wohnbau, gemeinsam mit 28 anderen Menschen, vom Kleinkind bis zur 80-Jährigen.

Das Haus ist so gebaut, dass sich seine Bewohner begegnen. Anstelle eines tristen Treppenhauses gibt es einen hellen, begrünten Innenhof, der zum Verweilen einlädt. Im Garten spielen Kinder Ball, auf einer Bank daneben sitzen zwei Omis beim Schwatz.

Angelika Blut hat sich bewusst für diese Wohnform entschieden, denn ihr 17-jähriger Sohn ist schwerstbehindert. „Es war mir wichtig, ein sicheres Umfeld zu haben und in einem Haus zu leben, wo alle an sozialem Engagement interessiert sind“, so die 48-Jährige. Das Miteinanderleben sei aber nicht so romantisch, wie man sich das vorstelle. „Wir verbringen nicht die ganze Zeit miteinander.“ Blut legt vor allem Wert darauf, dass sie Hilfe bekommt, wenn sie sie braucht. So kann sie die Nachbarn bitten, nach ihrem Sohn zu sehen, wenn sie abends ausgehen will, und geht dafür für sie einkaufen.

Besonders wichtig ist für die Alleinerziehende das benachbarte SOS-Mütterzentrum. Dort verbringt Angelika Blut einen Großteil ihrer Zeit, auch ihr Sohn wird dort betreut. Alt und Jung plaudern hier zwanglos beim Essen oder beim Kaffee, basteln und singen zusammen. Es gibt eine Tagespflege für Senioren, eine Kita, eine Wäscherei und Geschäfte. Wer will, bekommt Beratung in allen Lebenslagen. Träger der Einrichtung ist der SOS-Kinderdorf e. V.

„Die verschiedenen Generationen sollen hier einander im Alltag begegnen und voneinander lernen“, sagt Sabine Genther, Leiterin des Zentrums. Anders, als der Name sagt, gehe es aber nicht nur um „Mütter“, sondern darum, weibliche Kultur zu vermitteln, sagt Gründerin Hildegard Schooß. „Jeder soll sich angenommen fühlen, jeder kann sich nach seinen Fähigkeiten einbringen und bekommt dafür etwas zurück“, so Schooß. Angelika Blut etwa hilft bei der Altenpflege. Dafür ist die Betreuung ihres Sohns umsonst.

Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) ist von der Idee des Mehrgenerationenhauses so begeistert, dass sie für 400 solcher Häuser bundesweit in den nächsten fünf Jahren 88 Millionen Euro bereitstellt. Das Mütterzentrum soll dafür als Vorbild dienen.

Durch das Leben und Wohnen mit alten Menschen ist Angelika Blut zur Ruhe gekommen und hat keine Angst mehr vor dem Altwerden. „Ich weiß, dass ich hier eine gute Betreuung bekomme und meine Wohnung nicht verlassen muss“, sagt sie. Früher sei sie sehr häufig umgezogen. „Jetzt bin ich angekommen.“ GESA SCHÖLGENS