Initiative Knasttest: Mangelhaft

Kirchen und Flüchtlingsinitiativen haben den Abschiebeknast Grünau unter die Lupe genommen. Personal ist schlecht ausgebildet, Häftlinge sitzen länger ein und Räume werden schlecht genutzt

VON FELIX LEE

Berlins Abschiebepraxis bleibt eine Katastrophe. „Zwar ist sowohl bei der Vermeidung von Abschiebungshaft als auch bei den Haftbedingungen in den letzten Jahren eine positive Entwicklung in Gang gekommen“, sagte Dieter Müller vom Jesuitenflüchtlingsdienst und katholischer Seelsorger im Abschiebegewahrsam Köpenick: „Dennoch bleibt die Situation von Abschiebungshäftlingen noch in vielen Punkten verbesserungswürdig.“ Dabei hatte die zuständige Innenverwaltung bereits in den Jahren 2001 und 2002 versprochen, die Bedingungen in der Abschiebehaft deutlich zu verbessern. Das hatte auch das Abgeordnetenhauses vor vier Jahren mehrheitlich gefordert.

Der Aktionskreis Abschiebungshaft Berlin, ein Zusammenschluss von zwölf Flüchtlingsinitiativen, Kirchenorganisationen und Wohlfahrtsverbänden, hat die Abschiebepraxis in der Hauptstadt bewertet und die Ergebnisse gestern vorgestellt. Ihr Fazit: Es muss noch viel mehr getan werden.

Größtes Problem: die Verweildauer. Zwar hat sich die Zahl der Inhaftierungen im Vergleich zu 2001 mehr als halbiert und lag im vergangenen Jahr bei etwa 2.000. Unterbelegt blieb das trostlose und mit Stacheldraht umzäunte Plattenbauwerk in Grünau dennoch nicht. Denn gleichzeitig hat sich die durchschnittliche Haftdauer von 17 Tagen vor fünf Jahren auf 45 Tage im Januar 2006 verlängert. Obwohl ihre Abschiebung von vornherein aussichtslos ist, blieben nach wie vor viele der Flüchtlinge hinter Gittern, kritisiert die Studie. Dies gelte besonders bei geplanten Abschiebungen nach China, Kamerun, Elfenbeinküste, Liberia oder Sierra Leone. Derzeit sind 137 Flüchtlinge in Grünau inhaftiert.

Das Wachpersonal: 230 Polizisten sind derzeit in Grünau beschäftigt. Das ist selbst nach Ansicht des Aktionskreises Abschiebehaft sehr viel. Allerdings stehe die Quantität im Gegensatz zur Qualität des Personals. An sprachlicher, rechtlicher, sozialer und interkultureller Kompetenz lasse das Wachpersonal weiter zu wünschen übrig. Immerhin ist laut Aktionskreis die Zahl der polizeilichen Übergriffe in den vergangenen Jahren zurückgegangen. Positiv auch, das in einigen Fällen Polizisten ihre Kollegen auch mal kritisieren und im Extremfall Anzeige erstatten.

Der bauliche und hygienische Zustand: Seit das Abgeordnetenhaus konkrete Maßnahmen zur Verbesserung der Haftbedingungen gefordert hat, gibt es für die Inhaftierten tatsächlich einen längeren Hofgang pro Tag. Die strikte Trennung der Etagen wurde aufgehoben. Einmal pro Woche ist nun der Besuch auf einer anderen Etage möglich ist. Auch die Trennscheiben und Gitter im Besuchertrakt wurden weitgehend entfernt. Die Inhaftierten werden ihren Familien folglich nicht mehr wie Schwerverbrecher präsentiert. Seit der Reduzierung von 340 auf 220 Haftplätze könnten die Häftlinge auch über viel mehr Raum verfügen – zumindest theoretisch. Doch nun würden vorzugsweise die Etagen belegt, in denen noch alle Zellen mit Innengittern versehen sind und der hygienische Zustand der sanitären Anlagen besonders zu wünschen übrig lasse, so der Befund des Arbeitskreises.

Minderjährigenschutz: Im März 2003 hatte die Innenverwaltung entschieden, Jugendliche unter 16 Jahren überhaupt nicht mehr in Abschiebehaft zu nehmen. Auch das Kammergericht hatte im März vergangenen Jahres die Inhaftierung von Minderjährigen nur noch als „Ultima Ratio“ erlaubt. Ungeregelt blieb jedoch die Frage der Altersfeststellung. Denn seit den Beschlüssen lege die Ausländerbehörde das Alter willkürlich fest, bemängelt der Arbeitskreis. Viele Jugendliche würden älter eingestuft, als sie tatsächlich sind.

Die Haftkosten: Aus Verzweiflung versuchte ein 63-jähriger Mann aus Mazedonien Mitte Februar sich selbst umzubringen. Der Grund: Er wurde gezwungen, sein geringes Vermögen in Höhe von 2.000 Euro herauszurücken – als Sicherheitsleistung zur Begleichung der Haft- und Abschiebungskosten. Mithäftlinge solidarisierten sich daraufhin mit ihm und verbarrikadierten sich aus Protest im Etagenflur. Die Polizei beendete die Meuterei mit Einsatz von Gewalt. Es klingt absurd. Aber diese Praxis ist tatsächlich legal: Laut Aufenthaltsgesetz hat ein Insasse alle Kosten seiner Abschiebung selbst zu tragen – schließlich sind sie ja offiziell nicht in einem Gefängnis untergebracht, sie haben ja keine Straftat begangen. Offiziell sind sie also „nur“ in Gewahrsam. Der Tagessatz in Köpenick beträgt 62 Euro am Tag. Der Arbeitskreis fordert eine Überprüfung dieser Praxis. In anderen Bundesländern gebe es immerhin auch „humanitäre Lösungen“.

Entlassungsquote: Sie betrug 2002 rund 40 Prozent. Das heißt: In einer beträchtlichen Zahl von Fällen musste die Haft beendet werden, weil sich die Abschiebung als undurchführbar erwies. Das hätte die Ausländerbehörde eigentlich schon prüfen müssen, bevor sie Unschuldige einsperrt. Der Aktionskreis geht davon aus, dass sich diese hohe Zahl von Fehleinschätzungen in den vergangenen Jahren nicht wesentlich geändert hat.

Fazit: Bernhard Fricke, evangelischer Seelsorger in Grünau, weist daraufhin, dass bei all den behördlichen Verfahren eins nicht vergessen werden darf: dass es hier um Menschen geht. Wörtlich formuliert Fricke es so: „Sie lachen und weinen, spielen Fußball und sorgen sich um ihre Familien. Sie glauben und hoffen. Und manchmal sind sie einfach abgrundtief enttäuscht. Von Deutschland.“