Große Freiheit oder Direx-Diktatur?

Hamburg und Niedersachsen führen die eigenverantwortliche Schule ein. Die Direktoren sollen gestärkt werden. Lehrer wehren sich und sprechen von einer „Ökonomisierung“ der Schulen. Dahinter stecke die Bertelsmannstiftung

von Kaija Kutter

Es sieht nach verkehrter Welt aus: Die Schulen sollen mehr Freiheiten bekommen, die Bildungsminister wollen Macht abgeben – und die Pädagogen demonstrieren. Rund 1.000 Teilnehmer brachte die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) gestern in Braunschweig gegen die „Eigenverantwortliche Schule“ auf die Straße. Bildungsminister Bernd Busemann (CDU) hatte eine entsprechende Schulgesetznovelle in den Landtag eingebracht. Vorige Woche hatten in Hamburg 2.000 Lehrer gegen die „Selbstverantwortete Schule“ demonstriert.

„Es heißt anders, aber es ist inhaltlich derselbe Mist“, sagt Niedersachsens GEW-Sprecher Richard Lauenstein. Die Politik betreibe die „Ökonomisierung der Schule“, bei der Schulleiter diese „wie Betriebe leiten“ und den Output nach Kennziffern messen. Dabei gehe man von „operationalisierbaren Lernzielen“ aus, die der Komplexität des Lernens nicht gerecht würden. Statt pädagogischer Freiheiten gebe es „im Kern künftig eine Engerführung der Schulen durch neue Bildungsstandards, Vergleichsarbeiten und die Besuche der Schulinspektion.

Diese gibt es in Niedersachsen bereits seit einem Jahr, in Hamburg steht sie in den Startlöchern. Hamburgs Bildungssenatorin Alexandra Dinges-Dierig (CDU) und Amtskollege Busemann versprechen, dass Prüfergebnisse der Inspektoren nicht veröffentlicht würden und keine Rankings geplant seien. „Näheres bestimmt dann das Leben“, zweifelt Gewerkschafter Lauenstein. Dass Rankings früher oder später doch kämen, zeigten Erfahrungen aus England und den Niederlanden. Dies entspreche auch dem Konzept der Bertelsmann-Stiftung, die die Ministerien berate und den „Wettbewerb der Schulen“ offen propagiere.

Kultusminister Bernd Busemann spricht von „Deregulierung“. Er will großzügig sechs Erlasse zurücknehmen. 30 weitere könnten in Abstimmung mit einzelnen Schulen fallen. Für GEW-Landeschef Eberhardt Brandt ist das ein „Etikettenschwindel“: Es würden nur Erlasse abgeschafft, die doppelt geregelt seien.

Dinges-Dierig startet die Reform in Hamburg bislang ohne solche Morgengaben und setzt die Schulen stattdessen unter Druck. Sie sollen jährlich eine wachsende Zahl von Zielen erfüllen, deren Einhaltung die Behörde kontrolliert. Dass die Senatorin diese Ziele exklusiv mit dem Schulleiter aushandeln will und nicht mit den schulischen Gremien, brachte ihr von Eltern, Lehrern und Schülern den Vorwurf des Demokratieabbaus ein.

Die in beiden Ländern geplante „Stärkung der Schulleiter“ ist den KritikerInnen der größte Dorn im Auge. In Hamburg protestieren sogar die Schulleiter selbst: Jeder zweite Leiter der Grund-, Haupt- und Realschulen befürchtetet zeitliche und inhaltliche Überforderung. Sie sollen – in Hamburg ab 2006, in Niedersachen ab 2007 – direkte Dienstvorgesetzte der Lehrer werden. „Herr Busemann, Ihre eigene Parteinachwuchstruppe, die Schüler-Union, spricht von einer ‚Direx-Diktatur‘“, spitze die grüne Schulpolitikerin Ina Korter die gestrige Landtagsdebatte zu. „Eltern sind nicht nur zum Kuchenbacken da“, ergänzte Ingrid Eckel (SPD), die die Mitbestimmung der Eltern beschnitten sieht. Als Trost dürfen sie in neuen Schulbeiräten mitreden, deren vornehmste Aufgabe sein wird, Sponsoren auszuwählen. Es sei ihm sei „völlig unverständlich“, dass mit Schlagworten wie „Chefdiktatur“ herumpolemisiert werde, hielt der Minister dagegen. Sein Modell sei die „beste, sachgerechteste und nachhaltigste Antwort auf Pisa“. „Wir haben mit Gewerkschaften in England gesprochen, wo dieses Konzept seit Jahren ausprobiert wird“, kontert GEW-Sprecher Lauenstein. „Die bitten uns inständig, die Finger davon zu lassen.“