Nicht immer sind die Nazis schuld

BERLIN taz ■ Gleisbett statt Baseballschläger: Den fremdenfeindlichen Angriff auf einen Italiener in Berlin gab es wahrscheinlich gar nicht. Laut Generalstaatsanwaltschaft verletzte sich der Mann, als er betrunken in ein Gleisbett stürzte. Gegen den Italiener wird nun wegen Vortäuschens einer Straftat ermittelt. Dies ist kein Einzelfall.

Bad Salzuflen (NRW), 2000: Angeblicher rechtsextremer Anschlag auf eine griechische Gaststätte mit Buttersäure und Nazi-Schmierereien. Am Ende eine Anzeige gegen den Besitzer wegen Deliktvortäuschung und Versicherungsbetrug.

Sebnitz (Sachsen), 2000: Der sechsjährige Joseph Abdulla ertrinkt im Freibad, angeblich ermordet von jugendlichen Neonazis. Ein Gewaltverbrechen ist nicht feststellbar. Dennoch folgt ein großes Medienspektakel, die Stadt wird als rechte Hochburg verunglimpft, die Eltern ermitteln auf eigene Faust und stützen sich auf Zeugenaussagen Minderjähriger, die später widerrufen. Bewiesen wird nichts. 2002 kommt der Fall endgültig zu den Akten.

Düsseldorf, 2001: Eine 15-jährige Koreanerin ritzt sich ein Hakenkreuz in den Unterarm und erfindet einen Neonazi-Angriff. Ermittler vermuten psychische Probleme.

München, 2001: Um den Diebstahl einer Sektflasche zu rechtfertigen, täuscht ein 16-Jähriger eine Misshandlung durch drei Rechtsextreme vor: Sie hätten ihn zum Klauen gezwungen und ihm Runen und Hakenkreuze in die Haut geritzt.

Mühldorf am Inn (Bayern), 2001: Ein 16-Jähriger von der Elfenbeinküste täuscht einen Nazi-Überfall vor, weil er zu spät nach Hause kommt und Angst vor einer Strafe hat. Seine Verletzungen hat er sich bei einem Sturz zugezogen.

Düsseldorf, 2000: Angeblicher rechtsextremer Brandanschlag auf eine Synagoge. Kanzler Gerhard Schröder (SPD) eilt an den Tatort und ruft mit viel Pathos zum „Aufstand der Anständigen“ gegen Rechtsextremismus auf. Tatsächlich wurde der Anschlag von einem Palästinenser und einem Deutschmarokkaner verübt. Ihr Tatmotiv: Wut auf die Gewalt der Israelis im Nahen Osten.

Dessau, 2002: Vermeintlich rechter Anschlag auf ein indisches Restaurant. Strafanzeige gegen den Besitzer wegen Versicherungsbetrugs.

Acht Fakes – dem gegenüber stehen rund 5.600 rechte Gewaltdelikte und etwa 84.000 Straftaten in den Jahren 2000 bis 2005. Laut Bundesamt für Verfassungsschutz werden die vorgetäuschten Taten meistens rechtzeitig aus der Statistik entfernt. Die Opferperspektive erfasste allein im Osten von 2003 bis 2005 rund 1.700 rechtsextreme Gewaltdelikte.

GESA SCHÖLGENS