Die unbequeme Wahrheit

Heyes Reisewarnung an Ausländer empört Schönbohm. Dabei weist seine eigene Regierung braune Problemzonen aus

AUS BERLIN FELIX LEE

Es ist schon erstaunlich, wie eine vielleicht zugespitzt formulierte, aber im Kern durchaus wahre Feststellung kurz vor der Fußball-Weltmeisterschaft so sehr die Gemüter erhitzen kann. Nicht nur Brandenburgs Politiker zeigten sich zutiefst empört über die Äußerungen des ehemaligen Regierungssprechers Uwe-Karsten Heye (SPD) und jetzigen Vorsitzenden des Vereins „Gesicht zeigen!“. Gestern legte auch Wolfgang Huber, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), nach. Den Menschen in Brandenburg werde mit solchen Aussagen Unrecht getan, sagte Huber. Was Heye gesagt habe, gelte doch auch für andere Regionen.

Das Interview gab Heye vor zwei Tagen im Deutschlandradio Kultur. Wörtlich hatte er gesagt: „Es gibt kleine und mittlere Städte in Brandenburg und anderswo, wo ich keinem, der eine andere Hautfarbe hat, raten würde hinzugehen. Er würde sie möglicherweise lebend nicht mehr verlassen.“ Besonders die Aussage über Leben und Tod war für Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) ein gefundenes Fressen. Von einer „unglaublichen Entgleisung“ sprach er und forderte Heyes Rücktritt als Vorsitzender des Vereins.

Schönbohm, dem das Problem anscheinend überhaupt nur wichtig ist, weil er sich um das Image seines Bundeslandes sorgt, hatte bereits nach dem brutalen Übergriff auf Ermyas M. in Potsdam gegen all jene gewettert, die es wagten, Brandenburg auf sein braunes Problem hinzuweisen. Vor allem Generalbundesanwalt Kay Nehm hatte er kritisiert, weil der oberste Ermittler es wagte, den Fall an sich zu ziehen. Damit habe Nehm zu einer Stigmatisierung Brandenburgs beigetragen.

Dabei weiß Schönbohm sehr genau um das Problem der so genannten „No-go-Areas“. Seine eigenen Mitarbeiter des Landesamtes für Verfassungsschutz weisen in ihrem aktuellen Bericht darauf hin, dass es in Brandenburg ganze Landstriche gibt, in denen rechtsextremistische Cliquen das jugendkulturelle Leben dominieren. Deren Gewalt richte sich „gegen alles Fremdartige, seien es Ausländer, dunkelhäutige Deutsche oder Zecken, ein in der rechtsextremistischen Szene alltäglicher Begriff zur Beschreibung von linken Jugendlichen“, heißt es darin. Zwei Drittel der Gewaltstraftaten würden spontan aus der Situation heraus begangen. Insgesamt listet der Brandenburger Verfassungsschutz 17 Städte und Gemeinden auf, darunter Potsdam, Cottbus, Oranienburg und die gesamte Uckermark. Und diese Liste sei noch gar nicht abschließend.

Noch präziser sind die Zahlen: Auf 1.385 Personen beziffert Schönbohms Behörde die Zahl der Rechtsextremisten. Die Opferberatungsstellen zählen 128 rechtsextrem motivierte Gewaltstraftaten, allein in Potsdam waren es vergangenes Jahr 22 Angriffe, bundesweit 619.

Natürlich könne man einem dunkelhäutigen Afrikaner keinen Ausflug in bestimmte Ecken Brandenburgs und der Nachbarländer empfehlen, sagt Anetta Kahane. „Der Skandal ist, dass man eine Binsenwahrheit nicht aussprechen darf.“ Kahane ist Vorsitzende einer Stiftung, die sich seit Jahren gegen Rassismus einsetzt. Benannt ist sie nach Amadeu Antonio. Er war das erste Opfer rechter Gewalt nach der Wende 1990. In Brandenburg. Einer von seither bundesweit 17 Todesfällen – im Jahr.