Organe als Handelsware

Um die Anzahl von Spenderorganen zu erhöhen, fordert eine Expertengruppe, dass jeder, der nicht ausdrücklich widerspricht, als Organspender anzusehen ist. Lebend-„Spendern“ soll zudem erlaubt werden, eine ihrer Nieren gegen Cash abzugeben

Dabei nannte er auch einen „fairen Marktpreis“ pro Niere: etwa 40.000 Dollar

VON KLAUS-PETER GÖRLITZER

„Zahl der Organspender auf einem Höchststand“, meldete die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) Ende Januar: 2005 seien hierzulande 1.220 „hirntoten“ Menschen 3.777 Körperteile entnommen worden: Nieren, Herzen, Lebern, Lungen, Bauchspeicheldrüsen, Dünndärme. Die Warteliste für eine Transplantation sei dagegen unverändert lang: 12.000 Patienten hofften auf ein fremdes Organ.

Jedes Jahr sterben in Deutschland rund 1.000 Kranke, die auf der Warteliste stehen – „nur deswegen, weil kein geeignetes Organ verfügbar war“, behauptet eine Professorengruppe um den Konstanzer Ökonomen Friedrich Breyer. Beauftragt von der Technikfolgenabschätzungs-Akademie GmbH in Bad Neuenahr-Ahrweiler und finanziell unterstützt vom Bundesforschungsministerium, haben die acht Experten aus Jura, Medizin, Ökonomie und Soziologie nun „Handlungsoptionen zur Minderung des Organmangels“ aufgeschrieben. Das Memorandum, adressiert an „Entscheidungsträger in Politik und Wissenschaft“, legt einen Kurswechsel nahe: weg vom Altruismus, hin zu Kommerzialisierung und unscheinbarem staatlichem Druck.

Schon heute erfolgen die meisten Organentnahmen faktisch fremdbestimmt: Laut DSO hatten nur 5,8 Prozent der „Hirntoten“, denen im vergangenen Jahr explantiert Organe wurden, ihr Einverständnis zu Lebzeiten schriftlich erklärt; so hängt es in der Regel von der Entscheidung der Angehörigen ab, ob ein „Hirntoter hierzulande zum Organ-„Spender“ wird oder nicht.

Erst recht könnte die Fremdbestimmung zur Regel werden, wenn Breyer und Kollegen beim Gesetzgeber Zustimmung ernten sollten. Die Professoren empfehlen, in Deutschland einzuführen, was etwa in Österreich und Spanien gilt: die „Widerspruchslösung“. Demnach wird jeder von Geburt an als potenzieller Organspender im Falle des „Hirntods“ eingestuft – und zwar so lange, bis er oder sie dem staatlichen Vorurteil schriftlich widerspricht. Mit Hilfe dieser juristischen Konstruktion ließe sich die Rate der Organentnahmen „aller Voraussicht nach auf über 90 Prozent steigern“, rechnen die Experten vor. Die Zuschreibung, bis auf Widerspruch als möglicher Organspender zu gelten, „erscheint als Ausdruck der moralischen Pflicht zu helfen vertretbar“.

Um sicherzustellen, dass niemand übersehen wird, empfehlen die Professoren ein bundesweites Organspender-Register. Zudem müsse die „unzureichende Mitwirkung der Kliniken“ bei der Gewinnung von Körperteilen beseitigt werden – vor allem durch Verbessern der Vergütungssätze, die für „Hirntod“-Diagnostik und Organentnahmen gezahlt werden. Seit Jahren behaupten Transplanteure und DSO, dass weniger als 50 Prozent der Krankenhäuser ihrer Pflicht zum Melden möglicher Organspender nachkommen würden. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) bestreitet dies; genaue Zahlen seien weder ihr noch der DSO bekannt, erklärte DKG-Referentin Renate Höchstetter 2005 bei einer Anhörung der Medizinethik-Enquetekommission.

Körperstücke allein von „Hirntoten“ werden keineswegs ausreichen, um die Nachfrage der 12.000 auf der Warteliste registrierten Patienten zu befriedigen. Daher plädieren die Professoren dafür, auch so genannte „Lebendorganspenden“ zu fördern, bei denen sich gesunde Menschen eine Niere oder ein Leberstück herausoperieren lassen. Derartige Eingriffe bergen gesundheitliche Risiken. Diese sollten versicherungsrechtlich besser abgesichert werden, empfehlen die Professoren. Und sie gehen noch erheblich weiter: „Als Instrument zur Anreizstärkung“ solle künftig Geld eingesetzt werden; wer „Lebendspender“ genannt wird, solle gleichwohl bezahlt werden.

Ökonom Breyer und seine Mitstreiter skizzieren ihre Vision so: „Spenderorgane könnten zu staatlich festgelegten, nicht verhandelbaren Preisen entgolten werden, mit einem Ankaufmonopol des öffentlichen Gesundheitssystems.“ Eine ähnliche Idee hatte der New Yorker Mediziner Eli Friedman bereits im Februar für die USA im Fachblatt Kidney International präsentiert. Dabei nannte er auch einen „fairen Marktpreis“ pro Niere: etwa 40.000 Dollar, zu zahlen an den „Spender“.

Was deutsche Krankenkassen oder die Gemeinschaft der Steuerzahler für ein Körperstück aufbringen sollen, will Breyer auf Nachfrage nicht beziffern; dies festzulegen, sei Aufgabe der Politik. Breyer weist aber auf die Musterkalkulation der Professorenrunde hin, wonach eine Nierentransplantation plus Nachsorge letztlich billiger sei als eine lange Dialysebehandlung. Funktioniere eine verpflanzte Niere zehn Jahre, würden die Kassen in diesem Zeitraum angeblich 250.000 Euro im Vergleich zur Dialyse gespart haben.

Dass deutsche Politiker diese spezielle, staatlich organisierte Variante des Organhandels wirklich realisieren wollen, halten die Autoren des Memorandums „aus heutiger Sicht“ für unwahrscheinlich. Wer das Konzept erwägenswert findet, sollte sich mal im Iran umsehen: Dort hat man seit über zehn Jahren Erfahrung mit staatlich angekauften Körperstücken. Der iranische Urologe Javaad Zargooshi hat untersucht, was 300 Menschen dazu veranlasste, eine Niere zu veräußern. In der Regel: Armut.