Mode mit Mao

Längst wird in China nicht mehr nur der westliche Modestil kopiert. Junge chinesische Modemacherinnen wie Feng Ling und Wang Xiaolin haben eigene Vorstellungen – und ihre Werke dienen jetzt dem Westen als Inspiration

AUS PEKING GEORG BLUME
UND QIANG ZHAOHUI

Es war im Mai vor einem Jahr, als Miuccia Prada und ihr Ehemann, Prada-Chef Patrizio Bertelli, die kleine Boutique von Feng Ling in Peking betraten. Feng Ling zählt zur ersten Generation unabhängiger chinesischer Modedesigner. Früher war sie Aktionskünstlerin, jetzt ist sie Unternehmerin und 40 Jahre alt. Feng Ling schaffte an diesem Tag gerade Ordnung in ihren Kleiderregalen und war von dem Besuch völlig überrascht. Die Mode-Ikonen waren schlicht und lässig gekleidet. Prada war nicht geschminkt. Sie trug einen engen Baumwollpulli in beigen Tönen, einen kurzen Rock und braune Lederpumps. Typisch für sie war nur ihr schwarzes Haarband. „Sie sah aus wie eine Hausfrau. Nichts an ihrer Kleidung erinnerte mich an das Wort Fashion“, erzählt Feng Ling von ihrer Begegnung mit der weltberühmten Modemacherin. Prada schaute sich ihre Kleidung genau an. Sie kaufte vier Stücke, zwei Jacken, ein Kleid und ein Käppchen. Nur einen Satz wechselte sie mit Feng Ling. Sie fragte, ob alle Kleidung von ihr entworfen war.

Genauso ideenlos würde womöglich auch Bundeskanzlerin Angela Merkel fragen, nähme sie sich auf ihrer am Montag beginnenden Chinareise die Zeit für einen kleinen Modebummel. Was erwartet man auch in Pekinger Boutiquen anderes als Fakes und Imitate? Tatsächlich ist Chinas Produktpiraterie, vom Bosch-Autoteil bis zum Adidas-Schuh, Merkels wichtigstes wirtschaftspolitisches Thema in Peking. Wie käme sie da auf die Idee, nach Chinas eigenem Modesdesign Ausschau zu halten?

Neue chinesische Ideen aber sind in der Branche das Thema. Gibt es sie überhaupt? Und wer folgt in Peking und Shanghai auf Issey Miyake und Yohji Yamamoto, den letzten großen Mode-Revolutionären aus Asien? Die Pradas suchten vor einem Jahr nach der Antwort. „Sie wollten von mir lernen. Sollte ich mich dafür etwa bedanken?“, fragt Feng Ling, halb im Ernst, halb im Scherz.

Sie ist 1,74 Meter groß und hat langes, lockiges Haar. Sie trägt eine rosa Hornbrille, eine schwarze Strickjacke, einen kurzen olivgrünen Samtrock und hohe schwarze Lederstiefel. Sie ist nicht zu übersehen. Sie bestellt ein Glas Honigwasser mit Zitronenscheiben und macht es sich im naturweißen Ledersofa im Café De Niro gemütlich. Das Café befindet sich im Erdgeschoss einer nagelneuen Shopping Mall mit dem Namen „Tongli Studios“ an Pekings berühmter Sanlitun-Straße. Es ist das Viertel mit dem höchsten Ausländer- und vermutlich auch Reichenanteil in Peking. Über ihrem Kopf, nur eine Etage höher, befindet sich ihre Boutique.

Auf kleiner Fläche, zwischen Schmuck- und Kunsthandwerkläden, bietet Feng Ling ihren revolutionären 60er-Jahre-Look an. Als Logo ihres Labels grüßt ein grün-weiß-schwarzer Stern auf rotem Untergrund. Ihr Stil erinnert chinesische Kunden an die Kulturrevolution unter Mao Tsetung und westliche Besucher an die Protestbewegung der 68er-Generation. Ihre olivgrünen Jacken mit aufgenähten Taschen, nach außen gewendeten Nähten, Schulterklappen und Metallknöpfen sind eine Mischung aus Mao-Look und Soldatenuniformen. Ihre Abendkleider präsentiert sie ebenfalls in zumeist militärisch grünen Tönen. Mit stehenden Kragen und hohen Seitenschlitzen ähneln die langen, engen Kleider vom Schnitt her der traditionellen chinesischen Kleidung Qipao. Nur statt wie üblich mit Perlen und Stickerei hat Feng Ling ihre Kleider mit Aufdrucken von Mao-Portraits oder -Sprüchen dekoriert. Darunter auch einer ihrer Lieblingssätze von Mao: „Die jungen Chinesen haben hoch fliegende Ziele. Sie lieben keine bunte Kleidung, sondern Uniformen“.

Diesem Motto Maos mussten sich die Menschen während der Kulturrevolution (1966/76) lange Zeit fügen. Alle Chinesen, ob Frauen oder Männer, ob jung oder alt, trugen damals uniformiertes Grau oder Grün. Bunte Kleidung galt als bourgeois und wurde scharf kritisiert. Feng Ling war damals ein kleines Mädchen. In der Schule wurde sie einmal hart bestraft, weil der Lehrer ihre von der Mutter selbst genähte Karohose für zu bunt hielt. Natürlich gilt diese Epoche heute als modische Ödnis. Alle sahen damals gleich aus, sagen heute die meisten Chinesen. Aber Feng Ling ist anderer Meinung. „Es war ein Zeitalter voller Leidenschaft und Kraft. Voll von dem, was uns heute fehlt“, meint sie. Die jungen Frauen in grüner Uniform findet sie bis heute cool und sexy. „Sie verkörpern Power und Sex. Gibt es etwas Spannenderes?“, fragt sie. Dass der Mao-Look für viele ein politisches Symbol des Kommunismus sei, stört sie nicht, weil sie glaubt, dass die Kunst im modernen Chinas sich sowieso nicht von der Politik freimachen könne. Den Trend zur Entpolitisierung durch Kommerz hält sie für eine Illusion. Also schaut sie sich das ihr gegebene politische Material genau an. Ihre erste Modekollektion hieß „Revolution and Fashion“. „Revolution ist ein positiver Begriff. Revolution bedeutet Widerstand, Erfindung und Avantgarde“, sagt Feng Ling.

Sie wuchs im harten Klima der Mandschurei, in der Ölstadt Daqing auf. Ihre Eltern arbeiteten beide auf dem Ölfeld, der Vater als Ingenieur, die Mutter als Lehrerin. Nach einem vierjährigen Malereistudium in der Provinzhauptstadt Harbin war Feng Ling zunächst Kunstlehrerin an einer Hochschule in der Provinz. 1995 ging sie als freischaffende Künstlerin nach Peking. Sie war die erste und lange Zeit bekannteste Performance-Künstlerin der Pekinger Undergroundszene. Ihre Karriere als Modemacherin begann vor knapp zwei Jahren.

„Es war ein logischer Zufall“, erklärt Feng Ling. Ihre Mutter sei eine geschickte Hobbyschneiderin gewesen. Sie habe früher für alle Angehörigen der Familie Kleidungsstücke selbst genäht. Schon während der Studienzeit begann Feng Ling Kleidung für sich zu entwerfen und zu nähen. Sie kaufte weiße Baumwollstoffe, färbte sie in bunten Farben und machte daraus ihre Lieblingskleider. Sie dienten ihr später auf den Partys der Pekinger Künstlerszene. Bis eines Tages ein Freund sie fragte: „Kannst du so was auch für mich machen?“ Der Freund war niemand anderes als Cui Jian, Chinas berühmtester Rockmusiker. Feng Ling machte also ein Bühnenkostüm für ihn. Es war das erste Kleidungsstück der Marke Feng Ling. Kurz darauf gründete sie ihr Studio. Zwei Jahre später ist ihr Name bekannt genug, um die Pradas zu einem Inspirationsbesuch anzulocken. Und Cui Jian, der als Barde der demokratischen Studentenrevolte von 1989 zwölf Jahre lang Auftrittsverbot in der Hauptstadt hatte, trug bei seinem großen Comeback- Konzert im vergangenen Herbst in Peking erneut ihre Kleider – als ihr persönlicher Markenvertreter der Revolution.

So zeigt Feng Ling, was in der chinesischen Mode heute möglich ist – doch sie verkörpert stilistisch keinen Trend, dazu ist sie zu exzentrisch. Ganz anders die gleichaltrige Modemacherin Wang Xiaolin. Sie folgte der alten chinesischen Tradition. Mit feinen, eleganten, aus Seide und Brokat gefertigten Kleidungsstücken im traditionellen Stil sorgt sie mit anderen KollegInnen der Branche für die triumphierende Renaissance des China-Chics im In- und Ausland. Ihre Modemarke Mu Zhen Liao, die im nächsten Jahr ihr 10-jähriges Jubiläum feiert, ist inzwischen eines der bekanntesten Labels des traditionellen chinesischen Gewands geworden.

An diesem Tag möchte Wang Xiaolin mit einer Freundin gemeinsam in der Stadt einkaufen gehen. Sie haben sich im World Trade Center verabredet, einem der luxuriösesten und zugleich teuersten neuen Shopping-Center in Peking. Wang Xiaolin setzt sich in ein Starbucks-Café neben dem Eingang der Mall und wartet. Für den Alltag bevorzugt sie westliche Kleidung. Sie trägt eine grüne Flanelljacke mit Karos, hellblaue Jeans und braune Bergsteigerschuhe aus Velourleder. Nur ihre hochgeknoteten Haare sehen klassisch-chinesisch aus. Sie bestellt einen Café Latte und kauft zwei Lutscher für ihre Kinder zu Hause. Lieber redet sie über ihre 4-jährige Tochter und ihren 2-jährigen Sohn als über Mode und Karriere.

Sie ist 1,60 Meter groß. Sie wuchs in einer Kaserne auf, ihre Eltern waren beide Offiziere. 1994 kam sie aus der Provinz nach Peking, kaufte drei gebrauchte Nähmaschinen und stellte drei Arbeiterinnen an. Sie mietete einen kleinen Laden im Pekinger Zentrum. Am Anfang war ihr Stil noch unklar. Als sie dann mit einer Hochzeitskollektion im traditionellen chinesischen Stil den ersten geschäftlichen Sieg feierte, erkannte sie ihr Ziel: moderne Klassik. Heute kombiniert sie westliche Schnitte und raffinierte Verarbeitung mit Elementen aus der chinesischen Modetradition: edle Seidenstoffe, prachtvolle Farben, hohe Kragen, handgeflochtene Stoffknöpfe. Ihre exquisiten Einfassungen verleihen der modernen Frau mehr Weiblichkeit und Eleganz. In ihren Abendkleidern tritt die weltbekannte Schauspielerin Gong Li auf. „Die chinesischen Modedesigner haben die Nachahme satt. Sie wollen einen eigenen Weg einschlagen und greifen auf ihre lange Tradition zurück“, begründet die Modepionierin das Aufblühen des China-Chics.

Will Wang Xiaolin den internationalen Durchbruch? „Ich finde Issey Miyake gut, aber im Grunde kenne ich nicht so viele Namen.“ Sie scheut sich. Die Mode sei heute reiner Kommerz, da könne China nicht mit dem Westen konkurrieren, meint sie. Feng Ling aber träumt davon, eine berühmte Designerin im Stil von Coco Chanel und Yohji Yamamoto zu werden. Coco symbolisiert für sie Eleganz und Yohji Zauberei. Bald wird sie in New York und Mailand ausstellen.