Exzentriker im Eispalast

Ins Gras gebissen: John Fahey erzählt in „Blaugrasmusik“ von seinem Leben in den amerikanischen Vorstädten der Vierzigerjahre

„Es war ein terroristischer Angriff revolutionärer Musikzellen auf mein zentrales Nervensystem mittels Ästhetik.“ Nein, das ist kein Satz von Rainald Goetz. Es geht auch nicht um Techno. Vielmehr beschreibt John Fahey mit diesen Worten den offensichtlich starken Eindruck, den die gerade aufkommende Bluegrass-Musik auf ihn machte – damals, in den frühen Vierzigerjahren in Washington, D.C. Heutzutage eher Identifikationsmedium für wiedergeborene Christianer, war Bluegrass in seiner Entstehungsphase durchaus für Nonkonformisten reizvoll.

Das zumindest kann man den unter dem Titel „Blaugrasmusik“ erschienen Erinnerungen des amerikanischen Ausnahmegitarristen und Antonioni-Hassers John Fahey entnehmen. Die Beschleunigung schottischer, irischer und englischer Volkslieder zu irre schnellen synkopischen Gitarre- und Banjoexzessen hat nicht nur den Mann geprägt, der in die Annalen eingegangen ist, weil er dem Filmemacher Michelangelo Antonioni einmal eine geknallt hat. Sondern eine ganze Generation von Schraten, so der Lektüreeindruck, bekam auf diese Weise ihren Soundtrack.

Bluegrass war die Musik der Weirdos. Kein Wunder also, wenn John Fahey in seinen Erinnerungen ins Irreale abdriftet, mit Katzenmenschen auf Autodächern tanzt oder auf Anordnung des Geistes von Hank Williams die Nachbarstochter ehelicht: Seltsamkeiten sind einfach unverzichtbarer Teil seiner Existenz.

Das alte, das unheimliche Amerika, von Greil Marcus beschrieben als die Geburtsstätte von Folk und Blues, bei John Fahey taucht es aus der Tiefe seiner Erinnerungen wieder auf. Eine Psychoanalyse habe seine Kindheit und Jugend in den Dreißiger- und Vierzigerjahren in einem Vorort von Washington wieder erzählbar gemacht, schreibt dazu der Münchner Musikjournalist Karl Bruckmaier, der die Fahey-Erinnerungen übersetzt hat.

Die Übersetzung ist ihm geglückt, denn er versteht es, den Ton der Mündlichkeit, der den schmalen Band so unterhaltsam macht, beizubehalten. Doch die Lockerheit, mit der John Fahey einen hier so von der Seite anquatscht, täuscht. Hineingeboren in eine amerikanische Gesellschaft, die vor Prüderie, Dünkel, Rassismus, Faschismus und vor allem vor Angst kaum mehr Pieps sagen konnte, hatte John-Boy wenig zu lachen. Der sexuelle Missbrauch durch den eigenen Vater – John Fahey stellt es so hin, als sei das ebenso normal gewesen wie geschiedene Eltern. Die Fünfzigerjahre und ihr Konformismus: für komische Käuze und Exzentriker ein Eispalast. Der Ausweg schien häufig ein Rückgriff zu sein auf die Blues- und Folkplatten der Dreißigerjahre, die mit ihren seltsamen Lyrics und der außergewöhnlichen Musik ausdrückten: Es gibt noch einen geheimen mystischen Ort, du bist nicht allein. NADJA GEER

John Fahey: „Blaugrasmusik. Erzählungen aus den Vorstädten“. Aus dem Amerikanischen von Karl Bruckmaier. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2005, 222 Seiten, 10 €