Berliner SPD will keine Experimente

Heute verabschieden die Sozialdemokraten ihr Wahlprogramm. Im Vertrauen auf Bewährtes: Studienkonten sollen Studiengebühren abwehren, Wohnungen in Landeshand verbleiben. Neu ist das Ja zu Sprachkursen für Vorschulkinder

Wie langweilig wäre es, entschiede die SPD auf ihrem heutigen Parteitag nur über ein Wahlprogramm. Bildung, Wirtschaft, soziale Stadt – mit trocken klingenden Themen allein locken die Sozialdemokraten keine Sympathisanten an. Deshalb sorgen der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit und Bundesarbeitsminister Franz Müntefering für die nötige Stimmung.

Im ehemaligen Kosmos-Kino an der Karl-Marx-Allee werden die Spitzengenossen den Delegierten sagen, warum der Sparkurs des rot-roten Senats in den vergangenen vier Jahren richtig war. Wowereit fällt die schwierige Aufgabe zu, seinen Parteifreunden die Frage zu beantworten: Wofür geben wir künftig nach dem harten Sparkurs der vergangenen vier Jahre die erhofften Mehreinnahmen aus?

Doch der nicht gerade für politische Visionen bekannte Regierungschef wird nicht zum weitsichtigen Führer mutieren müssen. Die Genossen werden sich auch künftig mit Pragmatismus zufrieden geben. Das offenbart der Entwurf des Parteiprogramms für die Zeit bis bis 2011, das die Delegierten heute ohne große Debatte verabschieden.

In vielen Punkten findet sich die traditionell starke Parteilinke wieder. Auffälligstes Beispiel ist der Umgang mit den sechs landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften. Rund 15 Prozent des Berliner Wohnungsbaubestands sollen laut Programmentwurf in Landesbesitz bleiben. „International agierende Finanzinvestoren“ – die so genannten Heuschrecken – dürfen demnach keine großen Bestände oder ganze Unternehmen kaufen dürfen. Das klingt eindeutig. Nach der Wahl im September stellt sich jedoch die derzeit verdrängte Frage neu, was aus der von Insolvenz bedrohten Wohnungsbaugesellschaft Mitte (WBM) wird.

Geduldig geben sich die Genossen beim Thema Länderfusion mit Brandenburg. Sie wollen sich für eine „zeitnahe Abstimmung“ über die Länderehe einsetzen. Das klang schon mal drängender. Die Planungen aus den 90er-Jahren sahen eine Volksabstimmung für 2006, die Fusion für 2009 vor. Sie scheiterten an den misstrauischen Brandenburgern. Mancher Parteilinke hätte gern ein noch klareres Ja zur Fusion ins Programm geschrieben.

Geradezu beleidigt klingt, was die Partei Weltunternehmen zu sagen hat: „Im Wettbewerb um Global Player, die ihre Standortentscheidungen allein von der Höhe der Wirtschaftsförderung abhängig machen, kann und will Berlin nicht mithalten.“ Darin klingt die Frustration über die Schließung des Samsung-Bildröhrenwerks ebenso mit wie der Zank mit der Bahn AG um den Standort ihrer Logistikzentrale. Die Stadt setze daher vor allem auf die unbürokratische Förderung kleiner und mittelständischer Firmen. Vor allem in den oft als Jobmaschine bezeichneten Bereichen Gesundheitswirtschaft, Medien, Kultur und Verkehr.

Der Rummel um die Ereignisse in der Neuköllner Rütli-Oberschule hat auch die Bildungs-Aussagen des Papiers geprägt. Die Schulabbrecherquote will die Partei „in den nächsten zehn Jahren mindestens halbieren“, dank Sprachstandstests und Sprachkursen sollen bei der Einschulung alle Kinder „angemessen Deutsch sprechen“ können.

Beim Dauerthema Studiengebühren einigten sich die Parteigremien schon vor geraumer Zeit auf ein Ja zum Studienkontenmodell nach rheinland-pfälzischem Vorbild. Das heißt: keine festen Gebühren für jedes Semester, sondern im Erststudium weitgehend kostenfreie Lehrleistungen. SPD-Finanzsenator Thilo Sarrazin sympathisiert jedoch immer wieder mit dem Bezahlstudium.

Rheinland-pfälzisch wird auch ein anderer Teil des Parteitags werden. Aus seiner Heimat schickt Bundesparteichef Kurt Beck den Berlinern per Videoleinwand ein Grußwort. Immer noch interessanter als inhaltliche Debatten. MATTHIAS LOHRE