Abserviert und ausgenutzt

AUS BERLIN HEIKE HAARHOFF

Sie steht da im schwarz-weißen Kostüm, elegant, klein, schmal. Der Lidstrich ist ein wenig zerflossen. Sie blickt um sich, ja, der Saal ist gut besetzt, Sozialverbandsvertreter, Politiker aller Couleur, Gewerkschafter, Lobbyisten. Sie lächelt scheu. Auch nach 16 Jahren als Frontfrau des DGB zählen Ursula Engelen-Kefers Veranstaltungen und Pressekonferenzen zu den Terminen, die man nicht verpasst, wenn man in der bundesdeutschen Sozial- und Arbeitsmarktpolitik mitreden möchte.

Diesmal, es ist der Montag voriger Woche, geht es in Berlin um Reformen des Gesundheitssystems. „Es wird“, teilt Engelen-Kefer mit, „dazu Mitte Juni noch eine Aktionswoche von uns, den Gewerkschaften, geben.“ Ihre Stimme hüpft dabei, sie verzerrt ein wenig den eigentlichen Tenor ihrer Aussage: kampfbereit, kompromisslos und knallhart ist der. Von uns? Mitte Juni? Fragende Blicke kreuzen sich im Saal. Bereits Ende Mai, genauer gesagt am morgigen Dienstag, wenn der Deutsche Gewerkschaftsbund in Berlin seinen neuen Vorstand wählt, soll die DGB-Vizechefin Ursula Engelen-Kefer, 62, geschasst, entmachtet, in den Ruhestand verabschiedet werden, je nach Lesart. Weil sie zu alt sei, lautet die offizielle Begründung.

Ursula Engelen-Kefer. Promovierte Volkswirtin, gewerkschaftliche Quereinsteigerin, Einzelkämpferin. Verfechterin des traditionellen Sozialstaats, sachkompetentes Genie, sozialdemokratischer Betonkopf, politische Nervensäge: Es gibt wenige, die so polarisieren wie sie.

Ihre Nachfolgerinnen sind seit Monaten nominiert: Ingrid Sehrbrock von der CDU, 57, seit 1999 im DGB-Vorstand für die Bereiche Jugend, Bildung und Beamte zuständig und bisher öffentlich wenig in Erscheinung getreten, soll den Job der Vize machen. Den inhaltlichen Aufgabenbereich, die Sozialpolitik, soll die 51-jährige Annelie Buntenbach übernehmen. Buntenbach, eine der wenigen verbliebenen profilierten Linken bei den Grünen, liegt mit ihrer Partei seit dem Kosovokrieg im Clinch und flüchtete sich 2002 aus dem Bundestag in die IG Bau, wo sie seither die Abteilung Sozialpolitik leitet. Die Zerschlagung des Amts erfolgt bewusst. „Es soll“, sagt ein Gewerkschaftsfunktionär, der um seinen Job fürchtet, sollte sein Name öffentlich werden, „nie wieder eine so mächtige Vize geben.“ Engelen-Kefer kommt in diesem Personaltableau nicht vor. Und da schmiedet sie trotzdem Pläne für eine DGB-Zukunft, an der sie ganz offensichtlich beteiligt sein will? „Darüber“, entgegnet sie spitz, „entscheidet der Bundeskongress.“

Seither beschränken sich Offenheit und Transparenz in der DGB-Zentrale in Berlin-Mitte auf den gläsernen Eingangsbereich. In den Etagen darüber gibt es Gerede bestenfalls übereinander. Im dritten Stock residiert die Kandidatin Ingrid Sehrbrock, im fünften die Amtsinhaberin Ursula Engelen-Kefer und darüber der DGB-Chef Michael Sommer, der die Tragödie um die DGB- Führungskrise mit inszeniert hat. Dazwischen herrschen Misstrauen und Schweigen. Und deren zerstörerische Kräfte könnten sich ab heute auf dem Bundeskongress entladen.

Denn Ursula Engelen-Kefer hat ihre Ansage wiederholt, im Spiegel, im Tagesspiegel. Ihre Interviews lasen sich wie Appelle an die Delegierten des DGB, es möge sich bitte einer erbarmen, sie doch noch – da die offizielle Findungskommission es nicht getan hat – auf dem Bundeskongress kurzfristig zur Wahl vorzuschlagen. Theoretisch möglich ist das, wahrscheinlich eher nicht, sagt ein DGB-Mitarbeiter, der seit Jahren den Ablauf der Vorstandswahlen verfolgt: „Gewerkschaftsdelegierte ticken anders als Parteitagsdelegierte. Gewerkschaftsdelegierte halten sich an Absprachen. Da gibt es selten Überraschungen oder Abweichungen von der offiziellen Linie.“

Das Unbehagen ist Ingrid Sehrbrock anzumerken. In Deutschland sind bald fünf Millionen Menschen ohne Arbeit, die sozialen Sicherungssysteme kollabieren, den Gewerkschaften laufen die Mitglieder davon. Dass die Debatte um das Profil des DGB in solchen Zeiten zu einem intriganten Geschachere um Macht und Pöstchen verkommt, war nicht ihre Idee. Ingrid Sehrbrock ist keine Königinnenmörderin. Sie hat Kaffee und Gebäck organisiert, sie trägt Rock und Bluse und schlägt die Beine beim Sitzen manchmal übereinander, sie ist eine Dame, die es gern gemütlich und harmonisch mag.

„Ich habe sie immer verteidigt, weil sie fachlich sehr viel erreicht hat für den DGB“, sagt sie über Engelen-Kefer. Vermutlich stimmt das sogar. Es gab bisher auch keinen Anlass für Sehrbrock, sich an der mächtigen Vize abzuarbeiten, sie als Konkurrentin zu begreifen. Ursula Engelen-Kefer ist Mitglied im SPD-Parteivorstand, im Vorstand der Vertreterversammlung der Deutschen Rentenversicherung und im Verwaltungsrat der Bundesagentur für Arbeit. Ingrid Sehrbrock hat sich in den vergangenen sieben Jahren beim DGB fleißig um Jugendliche, Bildung und Beamte gekümmert. Und schließlich: Für die DGB-Spitze vorgeschlagen zu werden – als Christdemokratin, die zwischen allen Stühlen sitzt, der eigenen Partei zu links, der Gewerkschaft zu rechts? Aussichtslos. „Ich hatte mich nicht bemüht und auch nicht damit gerechnet, dass ich gefragt würde.“

Ingrid Sehrbrock hat in Hessen Drogistin gelernt, das Abitur auf dem zweiten Bildungsweg nachgeholt und später in Frankfurt Chemie, Englisch und Politik fürs Lehramt studiert. Sie glaubt an Gott, lebt in einem funktionalen Einfamilienhaus an der Stadtgrenze zu Berlin und ist mit einem Mann verheiratet, der mit Mitte 50 das Schicksal vieler Altersgenossen in Deutschland teilt: Er ist seit Jahren arbeitslos. Sie hat kürzlich eine Frauengewerkschaft in Indien beraten und tapfer die Einladung ihrer Gastgeberin angenommen, in deren Wellblechhütte zu wohnen, ohne Toilette, ohne fließendes Wasser, mitten in der Monsunzeit. Ingrid Sehrbrock hat genug Bodenhaftung, um zu spüren: Wegen ihres inhaltlichen Profils oder visionärer Auftritte in der Öffentlichkeit ist sie kaum vorgeschlagen worden. Sondern eher, weil sie für Ausgleich, Berechenbarkeit und Zurückhaltung steht – das Gegenteil von dem, wofür Ursula Engelen-Kefer von so vielen gehasst wird.

Die hat dem eigentlichen DGB-Chef Sommer manches Mal die Show gestohlen und ist den Chefs der großen Einzelgewerkschaften IG Metall und Ver.di sauer aufgestoßen, weil sie deren Versuche, in den DGB hineinzuregieren, als Grenzüberschreitung entlarvte. Schon vor vier Jahren, bei der letzten Bundesvorstandswahl, stand sie auf der Kippe. Ihre Fachkompetenz rettete sie damals. Den Aufschrei von der Basis, ohne Not auf die beste Frau zu verzichten, wollte sich die Führungsriege ersparen.

Diesmal aber fand sich ein vermeintlich objektiver Grund, sie loszuwerden: ihr Alter. Ursula Engelen-Kefer würde während der nächsten Amtszeit das 65. Lebensjahr erreichen. Undenkbar, ließen ihre Widersacher hämisch verlauten, als Gewerkschaft einerseits gegen die Rente mit 67 zu sein und zugleich das eigene Führungspersonal so lange schuften zu lassen.

Natürlich ist das Altersargument frei erfunden. Von zehn männlichen Vorsitzenden, die der DGB in seiner Geschichte aufgeboten hat, hatten sechs bei Mandatsende das gesetzliche Rentenalter erreicht oder überschritten. Nachzulesen ist das auf der DGB-Seite im Internet. Auch in der Satzung gibt es keinen Paragrafen, der eine Kandidatur aus Altersgründen verbieten würde. Und schließlich hätte Ursula Engelen-Kefer auch einfach auf der Hälfte ihrer Amtszeit – mit 65 – von einer Nachfolgerin abgelöst werden können. Doch für diese Lösung scheint es zu spät. Selbst langjährige Unterstützer sind mittlerweile irritiert über Ursula Engelen-Kefer. Sie bedränge ehrenamtliche Delegierte am Telefon, berichten sie. Ihre öffentlichen Äußerungen seien organisationsschädlich. Anstatt sich frühzeitig um Verbündete zu bemühen, laufe sie jetzt Amok. „Ein klares Wort, beispielsweise an den DGB-Bundesfrauenausschuss, dass sie weitermachen will, hätte genügt“, behauptet eine Funktionärin, die nicht im Verdacht steht, Engelen-Kefer schaden zu wollen: „Es wäre dafür gesorgt worden, dass sie zumindest bis 65 im Amt bleibt.“ Doch dieses klare Wort sei bis heute nicht gefallen.

Denkbar ist, dass Engelen-Kefer über die Unverfrorenheit, mit der die Gewerkschaftsbosse sie abservierten, so schockiert war, dass sie diesen Reflex – sich Hilfe von außen zu holen – schlicht vergaß. Zu dem Umgangsstil im Vorstand würde es passen, erst mal zu versuchen, allein zurechtzukommen.

„Wir sind schon Einzelspieler“, sagt Ingrid Sehrbrock. Oft, erzählt sie, redeten die DGB-Vorstandsmitglieder mehr mit den einzelnen Gewerkschaften als untereinander. Es bekümmert sie, es passt nicht zu dem Diskussionsstil, mit dem sie, die gläubige Katholikin, die täglich meditiert und sich schon als Studentin mit sozialethischen Fragen beschäftigte, damals in der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA) sozialisiert wurde: „In der CDA konnte man einfach drauflosdenken. Es gab ein sehr kollegiales Verhältnis.“

Den anderen auf Augenhöhe begegnen, ihren Ideen zuhören und sie ernst nehmen, ungeachtet ihrer Position – in ihrer eigenen Abteilung innerhalb des DGB hat Ingrid Sehrbrock diesen Führungsstil umgesetzt. „Sie ist“, sagt ein Mitarbeiter anerkennend, „die normalste aus der Truppe.“

Ohne Konstruktivität, ohne Konsens wird man eben auf die Dauer nichts, findet Ingrid Sehrbrock: „Wir haben als DGB lange in der Schmuddelecke gestanden, als Ewiggestrige. Wir haben oft gesagt, was wir alles nicht wollen.“ Für ihre künftige Aufgabe hat sie sich daher vorgenommen: „Wir müssen auch Konzepte anbieten, wenn wir ernst genommen werden wollen.“

Und solange diese Konzepte ihren eigenen nicht im Wege stehen, werden der DGB-Chef und seine Männerkumpel von Ver.di und IG Metall Ingrid Sehrbrock ganz bestimmt gewähren lassen.