Massenproteste gegen Kolumbiens Regierung

Indígenas, Kleinbauern und Afrokolumbianer legen den Südwesten lahm. In zehn Tagen stehen Präsidentenwahlen an

BOGOTA taz ■ „Wir sind für den sozialen Protest, aber ohne Gewalt, ohne Straßenblockaden“, ruft Kolumbiens Präsident und Wahlkämpfer Álvaro Uribe auf der Plaza Bolívar in Bogotá. Auf seiner Abschlusskundgebung vor 15.000 Anhängern wiederholt der Staatschef die Leitmotive seiner Amtszeit: „demokratische Sicherheit“, „Ordnung“, und immer wieder „Autorität“. Der Sieg des Hardliners bei den Präsidentenwahlen am kommenden Sonntag steht außer Frage. Wie schon vor vier Jahren könnte er sogar schon im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit der gültigen Stimmen erreichen.

Wie Uribes „feste, transparente, unparteiische Autorität“ in der Praxis aussieht, erfahren die gut 50.000 Indígenas, Kleinbauern und Afrokolumbianer, die seit einer Woche in den vierzehn Provinzen gegen das ausgehandelte, aber noch nicht bekannt gegebene Freihandelskommen mit den USA protestieren. Sollte der Vertrag ratifiziert werden, befürchtet die Nationale Indígena-Organisation Onic die Zerstörung der kleinbäuerlichen Landwirtschaft, den Ausverkauf genetischer Ressourcen und die massive Verteuerung von Medikamenten.

In den Provinzen Cauca und Nariño gingen Polizisten und Militärs brutal gegen die Demonstranten vor. Ein Indígena wurde erschossen, mehrere sind vermisst, dutzende wurden verletzt. Ebenso wie in Nariño wenden sich die Kleinbauen in Meta vor allem gegen die verheerenden Auswirkungen des „Drogenkrieges“, an erster Stelle die großflächigen Besprühungen von Kokaplantagen und allem, was in deren Umkreis wächst. Zudem haben die Gefechte zwischen der Armee und den Farc (Revolutionären Streitkräften Kolumbiens) Tausende von ihren Parzellen vertrieben.

Für Uribe besonders lästig ist der „mobile Sozialgipfel“, zu dem die Páez- und Guambiano-Indígenas an der Panamericana zwischen Cali und Popayán aufriefen. Unter der Regie des Regionalen Indígena-Rates von Cauca (Cric) sind sie ähnlich gut organisiert wie ihre ecuadorianischen Nachbarn. Diese trugen in der vergangenen Woche mit ihren anhaltenden Kundgebungen zur Übernahme der Ölfelder des Multis Oxy durch den Staat bei und verhinderten damit auch das drohende Freihandelsabkommen mit den USA bis auf Weiteres.

Seit Jahren streitet der Cric für verfassungsmäßig garantiertes Land und größere Autonomie. Die Großgrundbesitzer, die auch in Cauca gemeinsame Sache mit der Drogenmafia und Paramilitärs machen, wissen ihre Interessen bei den Zentralregierungen gut aufgehoben – deren Zusagen an die Indígenas werden regelmäßig gebrochen.

Im Krieg wenden sich die indigenen Gemeinschaften gleichermaßen gegen die Übergriffe der Armee wie gegen jene der Farc. Trotzdem diffamierte die Regierung Uribe die Proteste als guerillagesteuert. Zudem kündigte sie die Ankunft einer Verhandlungskommission an, worauf die Indígenas den Verkehr auf der Panamericana passieren ließen. Doch statt des erwarteten Dialogs rückten Polizei- und Militäreinheiten mit Panzerwagen und Hubschraubern auf das Indígenagebiet von La María vor.

Am vergangenen Freitag kam es zu einem „Gefangenenaustausch“ von zwei Polizisten und 26 Demonstranten. Während Menschenrechtler die Vorgänge untersuchen, haben sich die meisten Indígenas zu weiteren Beratungen in ihre Gemeinschaften zurückgezogen.

In der Woche vor der Wahl haben die Behörden noch weitgehendere Befugnisse, um Proteste aufzulösen. Der Ombudsmann von Nariño warf der Polizei vor, in Remolinos giftige Substanzen eingesetzt zu haben, was gegen das Internationale Völkerrecht verstoße. Er bekam das scharfe Gas selbst zu spüren, als er vermitteln wollte, und wurde wie dutzende Demonstranten ins Krankenhaus eingeliefert.

Nach Angaben des Roten Kreuzes haben mittlerweile über 6.000 Bauern in der Provinzhauptstadt Pasto Zuflucht gesucht. „Wir haben die freie Fahrt auf den Straßen wiederhergestellt“, ruft Álvaro Uribe unter dem Jubel seiner Anhänger. Doch diese wissen kaum, was sich in Südwestkolumbien abspielt – in den Medien herrscht das übliche Schweigen.

GERHARD DILGER