Was grinst die Sau?

Vor vielen Metzgereien und Imbissbuden stehen sie und grinsen uns an: gut gelaunte Schlachttiere, die ihr eigenes Fleisch zum Verzehr anbieten. Der Kulturforscher und Wurstexperte Stephan Grünewald weiß, was hinter der schweinischen Verlockung steckt

INTERVIEW Julia Grosse
und Martina Koch

taz: Herr Grünewald, warum lächelt das Metzgerschwein?

Stephan Grünewald: Hinter dem putzigen Comicschwein verbirgt sich eine simple Verkaufsstrategie, mit der die Werbung seit den Fünfzigerjahren arbeitet: das Prinzip Verharmlosung durch Verniedlichung. Denn unbewusst wissen die Verbraucher, dass ihrem Fleischverzehr ein archaischer Tötungsprozess vorausgegangen ist. Das Kotelett stand einmal im Stall, bevor es aus dem Schlachthof in das Fleischereifachgeschäft oder gleich säuberlich abgepackt in den Supermarkt kam. Nur: Das verdrängen die meisten von uns, bei der Ernährung lassen wir uns gern beschummeln. Erst durch den BSE-Skandal in den Neunzigern gelangten die Massentierhaltung und ihre Folgen so richtig in unsere Köpfe. Vorher haben wir jahrzehntelang diese fiese, blutige Seite des Fleischgenusses erfolgreich ausgeblendet. Zum Beispiel mithilfe des fröhlichen Metzgerschweins oder auch mit Wurstscheiben, auf denen uns ein Gesicht entgegenlächelt. In der Psychologie nennt man das den Entdramatisierungsprozess.

Dieser Prozess greift also eher heute zu Zeiten von Massentierhaltung. Wie aber wurde es in den Sechziger- und Siebzigerjahren empfunden, als die Aufsteller besonders populär waren?

Da war ein anderer Aspekt maßgeblich: Unbewusst glauben die Leute nämlich, dass man ist, was man isst. Das heißt, wenn ich Rindfleisch esse, erfahre ich eine andere „Beseelung“ als beim Hühnchen- oder Schweinefleischkonsum. Die meisten glauben, dass sie sich durch den Verzehr von Rindfleisch die stoische Standhaftigkeit eines Rindes einverleiben, das tagtäglich wiederkäuend auf der Wiese steht. Von Hühnerfleisch dagegen erhoffen wir uns eine vitalisierende, produktive Flatterhaftigkeit. Am interessantesten aber ist es beim Schwein. Mit dem Schweinefleischverzehr verbinden die meisten sündiges Suhlen – nichts, was mit Kraft und Vitalität zu tun hat, sondern eher den reinen, säuischen Genussgehalt. Achten Sie auf den Blick der Schweine: Sie zwinkern einem frech zu, fast ist es ein verführerischer Blick, als wollten sie das Sündige, die schweinischen Gelüste in uns ansprechen.

Gewagte Interpretation. Haben Sie das in Ihrem Institut für qualitative Markt- und Medienanalysen herausgefunden?

Ja, ich beschäftige mich schon lange mit Wurst und der Art ihrer Präsentation. In dem Fall haben wir sehr viele Testpersonen gefragt, in welchen Situationen sie zu welcher Fleischsorte greifen. Hat jemand einen harten Arbeitstag vor sich, eine Prüfung oder Konferenz, greift er eher zum Huhn oder Rind und hofft, damit seine Ausdauer und Vitalität zu stärken. Schwein wird in solchen Situationen tatsächlich kaum gegessen. Das kommt eher abends auf den Tisch, wenn man in Feierabendseligkeit einmal richtig die Sau rauslassen will. Das Schwein ist hier symbolisch unheimlich aufgeladen.

Warum trägt das Schwein eigentlich Metzgerkleidung? Warum wird dieses Tier überhaupt so gern vermenschlicht?

Vielleicht weil wir Menschen den Schweinen genetisch angeblich am ähnlichsten sind. Beide haben Stresssyndrome, Herzinfarkt, sind kommunikativ und intelligent. Der Hauptgrund ist jedoch, dass wir uns unbewusst permanent so verhalten wollen wie Schweine, aber das maskieren, indem wir das Schwein im Gegenzug kultivieren. Es so aussehen lassen wie wir! Dabei wird der Mensch zum Schwein und nicht das Schwein zum Menschen. Der Sprachgebrauch untermauert das: Wir müssen immer wieder unseren inneren Schweinehund überwinden. Aber manchmal wollen wir so richtig die Sau rauslassen, uns saumäßig danebenbenehmen – aber bitte kultiviert. Das Metzgerschwein trägt Kleidung, um unsere unbewussten Gelüste nach Maßlosigkeit und Wolllust in eine kultivierte Verpackung zu stecken. In anderen Kulturen ist das Schwein, das sich im Schlamm suhlt, ein unreines Tier. Bei uns ist es die Inkarnation des höchsten Glückszustandes.

Dennoch lächelt uns das Schwein heutzutage immer seltener vom Bürgersteig entgegen …

Im Grunde ist es ein längst überholtes Relikt der Nachkriegszeit. Nach Jahren der Entbehrung war Fleischverzehr Luxus. Der Sonntagsbraten, den man sich endlich wieder leisten konnte, bedeutete Wohlstand, und das Schwein signalisierte, dass man sich glücklich fressen kann. Die Wirtschaftswunderseligkeit fand ihren Ausdruck im dicken Bauch. Ganz anders heute: Selbst wenn das Schwein lächelt, man sieht immer noch das Tier, und das können wir nicht mehr ertragen, wo ständig irgendeine schlimme Doku über Massentierhaltung im Fernsehen läuft. Und trotz Biotrends – generell wird die Ware Fleisch immer abstrakter. Den Verbrauchern ist der Fleisch- und Wurstgenuss ohne jegliche Erinnerung an das geschlachtete Tier am liebsten, was die vergleichsweise höheren Umsätze von abgepackten Waren mit erklärt.

Womöglich treibt uns das schlechte Gewissen sogar dahin, weniger Fleisch zu essen?

Eher nicht, wobei wir im EU-Vergleich ohnehin nur als durchschnittliche Fleischesser gelten. Der Pro-Kopf-Verbrauch von Schweine- und Rindfleisch ist in den letzten zehn Jahren nur geringfügig gesunken, der Geflügelverzehr ist sogar deutlich gestiegen. 2005 aßen die Deutschen pro Kopf zirka 89,6 Kilo Fleisch insgesamt. Der durchschnittliche Schweinefleischverbrauch lag im letzten Jahr bei 54,8 Kilo, dass heißt, das Schwein ist immer noch der Deutschen liebster Fleischlieferant. Es ist ja nicht so, dass wir heute nicht immer noch diesen versteckten Drang nach maßlosem Fressen verspüren. Doch wir wissen, dass dieser archaische Wunsch von unserer Gesellschaft bestraft wird. Wer heute fett ist, passt nicht ins leistungsorientierte, vitale System. Da ist dann auch das lockende Schwein fehl am Platz.