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: Sollen sie doch Austern schlürfen!

Cristina Nord ist an der Croisette: Pfiffe für Sofia Coppolas „Marie-Antoinette“. Zu wenig Revolution, monieren die Franzosen

Nach der Pressevorführung von „Marie-Antoinette“ wird verhalten applaudiert und umso entschiedener gebuht. Warum sich manche Kritiker über Sofia Coppolas neuen Film aufregen, will mir in diesem Augenblick nicht einleuchten. Der einzige Grund wäre wohl der, dass ihnen „Marie-Antoinette“ zu unpolitisch erscheint, weil Coppola von Versailles am Vorabend der Revolution erzählt, ohne der Revolution selbst Raum zu geben.

Auf der Pressekonferenz werden entsprechende Fragen laut. Erster Journalist: „Frau Coppola, was denken Sie über die Französische Revolution?“ Coppola: „Ich habe keinen Film über die Französische Revolution, sondern ein Porträt Marie-Antoinettes gedreht. Meine Ansichten und Meinungen stecken im Film.“ Zweiter Journalist: „Sie entwerfen die politischen Führer ganzer Länder als Puppen. Kommentieren Sie damit aktuelle Verhältnisse?“ Coppola: „Ich glaube nicht, dass es meine Aufgabe ist, politische Aussagen zu treffen.“ Dritter Journalist: „Ich weiß, Sie wollen auf die politischen Fragen nicht antworten. Dennoch: Denken Sie, es gibt Parallelen zwischen dem, was Sie im Film zeigen, und der innenpolitischen Situation im Frankreich der Gegenwart?“ Coppola lächelt und tuschelt mit der Hauptdarstellerin, der neben ihr sitzenden Kirsten Dunst.

Das wirkt mädchenhaft, hat aber den gewünschten Effekt. Keine der Fragen dringt zu ihr durch, keine kann sie aus der Fassung bringen. Und sie hat ja Recht. Sie wollte keinen Film über die Französische Revolution drehen, warum sollte sie dann über die Revolution sprechen? Und warum sollte ausgerechnet sie, eine junge Regisseurin aus den USA, kommentieren, was Ende letzten Jahres in den Vorstädten von Paris geschah? Wenn das Volk kein Brot hat, dann sagt die Königin zwar maliziös: „Soll es doch Kuchen essen!“ Doch die darauf folgende Szene dementiert das Vorangegangene. „So ein Unsinn, das habe ich nie gesagt“, korrigiert Marie-Antoinette.

Man kann Coppolas eskapistischen Ansatz per se reaktionär finden, so wie man etwa Alexander Sokurovs Filme über den japanischen Kaiser („Die Sonne“) und die Zarenzeit („Russian Arc“) als rückwärts gewandt abtun kann. Aber manchmal wird es gerade dann aufregend, wenn das, was man mit Argwohn betrachtet, in ein verführerisches Licht rückt, wenn etwa das Rückwärtsgewandte einen Reiz auszuüben beginnt. Mit diesem Reiz arbeitet Coppola, ohne ihm zu erliegen. „Marie-Antoinette“ ist kein period piece im klassischen Sinne. Die Musik, die die Maskenbälle, die Fuchsjagden und Glücksspiele flankiert, schafft starke Gegensätze: Neben den Menuetten Jean-Philippe Rameaus laufen Stücke von Gang of Four, Aphex Twin, Air, New Order, Siouxsie and the Banshees und anderen.

Die Königin ist eine Teenagerin, die sich an Etikette und Protokoll reibt – nicht zuletzt, weil sie aus der österreichischen Kaiserfamilie stammt und mit den Umgangsformen von Versailles nicht vertraut ist. Sie hat Lust auf Partys, auf neue Roben, Perücken und Schuhe, auf Champagner, Schoßhunde und Confiserie; sie liest Rousseau, während sich die Kamera an Grashalmen und Kleeblüten ergötzt. Als Kontrast dazu setzt die mise en scene die junge Königin oft fest – in einem goldgerahmten Spiegel, zwischen Säulen oder unter einem hoch aufragenden Türbogen.

Eine Parallele zur Gegenwart hat „Marie-Antoinette“ dann doch. Die Schauspielerin Aurore Clément benennt sie während der Pressekonferenz: „Für mich ist der Hof von Versailles wie Cannes.“ Das strikte Protokoll, die heiß ersehnten Einladungen zu Partys und Galavorführungen, die Abendroben, der nie versiegende Champagner – spielt man die Parallele bis zu ihrem Ende durch, hat sie sogar etwas Häretisches: Die Schauspieler, Regisseure, Studiobosse und Verleiher plappern bei den Empfängen im Hotel Majestic, im Grand Hotel oder am Strand genauso hohl daher wie einst die Höflinge von Versailles. CRISTINA NORD