Radler pfeifen auf den Wind

Allen Orkanböen zum Trotz: Rund 100.000 Radfahrer kämpfen sich bei der traditionellen Sternfahrt des ADFC tapfer zum Spreebogenpark durch. Die Tour ist mehr Happening als politische Demo

Gejammert wird nicht bei der Sternfahrt, das ist ein ungeschriebenes Gesetz. Die Laune der Radler ist prächtig

Von Torsten Gellner

Das Wetter ist allgegenwärtig. Gewitter, Schauer, orkanartige Böen und sogar vereinzelt Sonne waren angekündigt, und genau so ist es leider auch gekommen. Leider? Die rund 100 Radler, die sich gestern morgen gegen 11 Uhr am Bahnhof Ahrensfelde versammelt haben, scheinen diese Vokabel des Bedauerns nicht zu kennen. Niemand stört sich an der äußerst widrigen Witterung. Warum auch, es ist wieder Sternfahrt in Berlin, das wohl größte Fahrradvolksfest Deutschlands, veranstaltet vom Allgemeinen Deutschen Fahrrad Club (ADFC). Im vergangenen Jahr bei ähnlichem Wetter lockte es immerhin rund 100.000 Menschen auf die eigens für sie abgesperrten Berliner Straßen. In diesem Jahr waren es genauso viele, sagte Benno Koch, ADFC-Landeschef und Fahrradbeauftragter des Senats.

In Ahrensfelde begann eine von insgesamt 19 Routen mit 81 Treffpunkten, die sich am Ende, gegen 14 Uhr am Großen Stern zu einem riesigen Fahrradkorso bündelten. Für ganz Hartgesottene hatte der Veranstalter der Sternfahrt eine 80-Kilometer-Route ausgekuckt, die um 8 Uhr in Brandenburg an der Havel startete. Außerdem durften sich ehrgeizige Radler auf einer mehr als 100 Kilometer langen Rennradroute ab Rathenow austoben.

Ganz so ehrgeizig war man in Ahrensfelde nicht. Vom Kleinkind bis zum Rentner, vom Klapprad bis zur pedalbetriebenen Pseudochopper war alles vertreten. Trotz des gemächlichen Tempos ist gleich nach der Abfahrt das erste Opfer zu beklagen. „Mama, die Kette ist draußen!“, jammert ein kleines Mädchen. Die Reparaturpause ist zum Glück nur kurz: Der Schaden ist aber gleich behoben, kein Grund zur Klage.

Gejammert wird eh nicht bei der Sternfahrt, das ist ein ungeschriebenes Gesetz. Die Laune der Radler ist prächtig und kann offenbar durch nichts getrübt werden. Mag einem auch der Sturm einen kapitalen Ast vor die Räder knallen, mag sich das Vorderrad in einer Tramschiene verhaken oder die tropfnasse Jeans die Oberschenkel wund scheuern. Vielleicht ist es die eindrucksvolle Kulisse, die solche Unannehmlichkeiten schnell vergessen lässt. Ja, die Marzahner Hochhausschluchten vor pechschwarzer Wolkenwand – das hat schon etwas Malerisches.

„Berlin fährt Rad – Respekt für Radler“, lautete das diesjährige Motto der Sternfahrt. Dass das Ganze eigentlich eine Demonstration ist, zu der der ADFC aufgerufen hat, merkt man dem Event nicht unbedingt an. Der Veranstalter will das Fahrradfahren in Berlin sicherer und attraktiver machen und die Radlerrechte stärken. „Klar bin ich für mehr Rechte für Radfahrer“, sagt ein Mann, dessen kleine Tochter tapfer den Windstößen trotzt. Aber nicht deshalb sei er hier. Die „tolle Stimmung“ habe ihn gelockt. „Und wann wird man schon mal von der Polizei durch halb Berlin eskortiert und kann auf der Autobahn fahren?“

Die meisten Radler, die bis zum Ende durchhielten, haben wohl eher auf die abschließende Entspannung im Spreebogenpark hingestrampelt. Denn dort fand bis 22 Uhr das European Bike Festival statt, das mit zehn Newcomerbands und diversen Fressbuden auf die müden Sternfahrer wartete. Die Wahl dieses Ortes ist kein Zufall, sondern auch ein politisches Statement. Laut ADFC wollte man durch die Nähe zum neuen Hauptbahnhof für eine bessere Vernetzung von Rad und Bahn im Fernverkehr werben. Mit dem nachmittäglichen Ziel der Sternfahrt verband ein älterer Herr am Morgen in Ahrensfelde dagegen etwas ganz anderes: „Ich freu mich schon jetzt auf mein kühles Radler im Spreebogenpark!“