PAPST IN AUSCHWITZ: DIE DEUTSCHEN ALS OPFER DER GOTTESFERNE
: Vorwärts in die 50er-Jahre!

Was muss ein Papst, der Auschwitz besucht, sagen? Was kann ein deutscher Papst in Auschwitz sagen? Vielleicht ist dies ein Unterfangen, das scheitern muss, weil es keine „richtige“ Rede geben kann –noch immer nicht, auch nicht nach mehr als 60 Jahren. Die Rede, die Benedikt XVI. gehalten hat, bedarf daher einer kritischen Lektüre – aber einer ohne intellektuellen Hochmut. Auch für Atheisten ist Auschwitz Synonym für etwas Unfassbares, das sich dem rationalen Verständnis nicht zur Gänze erschließt.

Papst Benedikt ist in Auschwitz mit einer Rhetorik der Bescheidenheit aufgetreten. Er hat bemerkt, dass an diesem Ort vielleicht „bestürztes Schweigen“ die einzig angemessene Haltung ist. Er hat die ratlose Frage gestellt, wo Gott in Auschwitz war. Das ist das Beste, was sich über diese Rede sagen lässt. Denn die Deutschen sind im Weltbild von Josef Ratzinger ein Volk, über das „eine Schar von Verbrechern“ auf wundersame Weise Macht gewann. So war es nicht. Millionen Deutsche, wenn auch nie deren Mehrheit, verhalfen den Nazis zur Macht, Millionen waren lange loyale Volksgenossen. In Benedikts Andeutung erscheinen sie wie in den 50er-Jahren eher als Opfer einer verbrecherischen Verschwörung, aber nicht als Mitläufer und Mittäter.

Noch nebliger wirkt Benedikts Bild des Holocausts. Mit der Vernichtung der Juden wollten die Nazis „die Wurzel des christlichen Glaubens herausreißen und diesen durch den Glauben an die Herrschaft des Menschen ersetzen“. Haben wir Auschwitz also als Menetekel eines allgemeinen Atheismus zu deuten? Als Ergebnis der gottfernen Moderne? Gar als Resultat von Aufklärung und Säkularisierung? Diese Deutung schließt fugenlos an den seufzenden Kulturpessimismus wiederum der 50er-Jahre an, als sich viele Deutsche die Verbrechen, die in ihrem Namen begangen worden waren, als Ergebnis gottloser Politik vom Leib hielten.

Nein, der Papst ist kein Historiker. Er muss nicht den Stand der Forschung referieren. Aber er muss den ideologischen Kontext seiner Argumente kennen. Und genau sein. So unscharf wie Josef Ratzinger sollte man nicht über Auschwitz reden. Kein Papst, erst recht kein deutscher. STEFAN REINECKE