Im Bett mit Fassbinder

Intervention üben am widerspenstigen Objekt Stadtzentrum: Ein Resümee von fünf Wochen Bunnyhill 2 an den Münchner Kammerspielen. Blumen pflanzen, das soziale Gewissen wärmen oder einfach die Sau rauslassen – befriedigend war das nicht

Meinungen zum Thema Freiheit gegen Suppe und Bier tauschen

VON SABINE LEUCHT

Wenn das Theater ein Thema aufspießt wie einen kunterbunten Schmetterling, und der Schmetterling entpuppt sich als schnöde Seifenblase: ohne feste Kontur, von bescheidener Exotik, die, kaum nimmt man sie aufs Korn, auch schon zerplatzt; wenn das Theater so etwas tut und es zu spät bemerkt, dann sind wir bei Bunnyhill 2, der Fortsetzung eines Projektes der Münchner Kammerspiele, das im Oktober 2004 viel versprechend begann und mit einer Staatsgründung auf Zeit das Verhältnis zwischen Peripherie und Zentrum zur Stadttheater-Chefsache erkor.

Da rückten die Bunnyhill-Erfinder, Regisseur Peter Kastenmüller, Dramaturg Björn Bicker und Bühnenbildner Michael Graessner, ein Münchner Problemviertel für zwei Monate und 80 Veranstaltungen in den Fokus des Interesses: Als exotischer Schmetterling – ja. Aber als einer, der etwas zu sagen hat. Die acht Jugendlichen aus dem Hasenbergl, die damals in „Ein Junge, der nicht Mehmet heißt“, mit ihren realen Sehnsüchten und Problemen auf die Bühne kamen, teilten mit den Machern, Mitspielern und Zuschauern die Ahnung, etwas Bedeutsamem beizuwohnen. Gemeinsam zogen sie an einem Knoten, dem man durchaus zutraute, scheinbar schicksalhafte Verstrickungen zu lösen und angestammte Bretter vor dem Kopf zum Fallen bringen zu können.

Nun ist am vergangenen Wochenende die zweite Bunnyhill-Strecke zu Ende gegangen – und war enttäuschend. Was auch an der Wabbeligkeit des neu justierten Themas liegt, das dazu noch als Frage dahergeschlichen kam: „Wem gehört die Stadt?“, fragt Bunnyhill 2 im Jahr 2006. Mitten im Zeitalter der globalisierten Unübersichtlichkeit haben wir die eben entdeckte Peripherie schon wieder abgeschrieben und uns stattdessen an eine Seifenblase gekuschelt: das Zentrum. Da kann man sich als Institution, die münchenmittig in der Maximilianstraße sitzt, gleich selbst bespiegeln.

Um dem vorzubeugen, wurden Aktionen ausgelagert, Leute aus der freien Szene und Clubs, aber auch Stadtfremde eingeladen, mit um das goldene Kalb zu tanzen. Zu viele allerdings – und zu wahllos, so dass es schwer fiel, das Relevante herauszufiltern. So sammelten etwa die „Kulturmaßnahmen“ aus Berlin elf Tage lang Sorgen und Wünsche der Münchner und machten sie mit rührendem Verständnis und lustigem Geklampfe vor viel zu wenig Publikum bekannt. Und da hinter der Idee zu Bunnyhill 2 der Generalverdacht stand, dass die Münchner ihr saturiertes Zentrum allenfalls zaghaft in Besitz nehmen, wurden mit Green City Blumen gepflanzt und es wurde über Wochen hinweg geübt, wie man eine Bürgerinitiative auf die Beine stellt, die das nächste Mal nicht zu spät kommt, wenn ein lebendiger Ort wie der Gärtnerplatz städteplanerisch befriedet wird.

Eine nahe liegende Antwort auf die Frage, wem denn die Stadt gehört, bekamen die Macher selbst durch die behördlichen Widerstände bei dem Versuch, mit den Architekten von morePlatz ag. und Palais Mai ein Stück Fremdheit ins Zentrum zu implantieren, das Passanten zum Schmunzeln, Sich-Wundern und Sich-Ärgern brachte. Ein kleines Chinatown hat es mal werden sollen, schließlich wurde es ein Hafen: Acht Überseecontainer am Stachus, dem unschmuckeren Ende der Münchner Shoppingmeile, an deren Kopf der Marienplatz residiert. In einem Container war zu sehen, wie die brave Weltstadt mit Herz zum wagemutigeren „Münjing“ werden könnte, davor wurden Meinungen zum Thema Freiheit gegen Bier und Suppe getauscht. In diesem spröden Utopia trafen sich ortsansässige Initiativen zu einer Ideenbörse für eine bessere Welt. Unter freiem Himmel, ohne Eintritt und sporadisch. Leider aber litt Münjing fast zeitlebens unter zu viel Wasser, was nicht am Hafen, sondern am Wetter lag, weshalb diese kluge Provokation des bajuwarischen Ordnungssinns für viele nur dritte Wahl war.

Da traf man sich lieber im Neuen Haus der Kammerspiele, wo es mehr in Richtung Theater, oder in der „Praxis Fassbinder“, wo in Richtung Party ging. Wohlgemerkt, in Richtung, denn: Anhören, wie einer seine Platten „nach Lautstärke sortiert“ und in welchen Münchner Cafés frau eher mit Gucci- oder mit Prada-Täschchen erscheint; oder zuschauen, wie „Der Fremde – ein Würger aus München“ an der Weißwurscht von Meister Eder zutzelt und diesen Klamauk von „Generation Aldi“ für eine Auseinandersetzung mit dem Moshammer-Mord serviert bekommt … Ist das nun Party? Theater? Muss man das klären?

Schließlich hat das Bunnyhill-Steuerteam – Kastenmüller, Bicker und Graessner – ihrem Flakschiff mit Rainer Werner Fassbinder ein Lämpchen vor den Bug gebunden, das mit Vorliebe das Wilde und Verschwenderische in Kunst und Leben erleuchtet. In der kunterbunt gestrichenen „Praxis Fassbinder“ ließ denn auch die junge Schweizer Regisseurin Barbara Weber eine streitlustige Rainer-W.-Gedenk-WG durch die Altbauflure toben. Bis ins Bett konnte man dem großen Exzentriker folgen, wo vorher „Rudi Dutschke“-Strickanleitungen verteilt wurden. Ansonsten aber war die Achtzimmerwohnung in der Sendlinger Straße 50, in der der kleine Rainer einige Jahre seiner Nachkriegskindheit verbracht hat, mit so vielen gemütlichen Sofas bestückt, dass man die ein oder andere Kunst schon mal verpassen oder vor lauter Leuten übersehen konnte. „Ja mei“, würde der Münchner sagen und mit dieser Mischung aus Belustigung und Resignation die Schultern zucken: „A Gaudi woar’s.“

Jawohl! Doch zwischen gemäßigter Provokations- und etwas wilderer Spaßkultur blieben das Soziale wie das Ästhetische als Quantités négligeables zurück. Und mit ihnen die (Selbst-)Reflexion. Klar kann man bei einem derartig vollgestopften Programm mit gewisser Berechtigung maulen: Das Wichtigste hat sie wieder nicht gesehen, fast das ganze Wochenende zum Thema Alter verpasst, von den Stadtspaziergängen genau den falschen erwischt.

Das nervig aktionistische „A – Angst essen Zentrum auf“ ist den Dokumentartheater-Collagen von Stefan Kaegi und Co. nachempfunden, aber bei weitem nicht so gut rhythmisiert und zu Ende gedacht. Es scheint, als sei man in der Recherchephase behutsam auf die Leute eingegangen, die nun auf der Bühne trotzdem wirken, als würde man sie verarschen. Leute mit teils beachtlicher Ausstrahlung werden gefragt, ob es für die Frauen im Zentrum wichtig ist, dass ihre Mütter stolz auf sie sind (!?). Und so. Wenn dies das zentrale Theaterereignis zum Thema ist, darf man schon enttäuscht sein: Bedeutend war das nicht.

Aber es gibt zugleich auch Anlass zur Hoffnung. Denn die theatrale Erforschung des Verhältnisses von Zentrum und Peripherie, das Hinauspreschen der Kunst in den urbanen Raum und die Zusammenarbeit mit Organisationen und Künstlern vor Ort kann einem deutschen Stadttheater in Zukunft Bares bringen. Die Kulturstiftung des Bundes will, dass die Menschen der Stadt wieder Chefsache im Theater werden. Die ersten Projekte, gefördert im Schnitt mit 50.000 Euro, sind bereits auf dem Weg, sagt Antonia Lahmé, die den „Heimspiel“-Fonds der Kulturstiftung betreut, der sich unmittelbar dem Erfolg von Bunnyhill 1 verdankt. Man betont aber auch, dass die Ergebnisse auch auf der großen Bühne bestehen sollen: „Wir wollten keinen anders legitimierten Sozialfonds aufmachen“, so Lahmé. „Es muss schon ästhetisch was rüberkommen.“

Der Bundeskulturstiftung geht es um Nachhaltigkeit, Veränderungen in der Stadt und die Rekrutierung neuer Publikumsschichten, die drei von Bunnyhill wollen vor allem Leute zusammenbringen. Dass die Kunst auch nach Emotionen giert, nach Schönheit und nach Schmerz, das war in diesem Jahr in München nur in einem Gastspiel zu sehen. Und das kam aus dem exotischen Brasilien, wo man diese Dinge weiß.