„Potenzial des Rades erkannt“

Während der Fußball-WM gibt sich Berlin besonders fahrradfreundlich. Der Senat richtet bewachte Abstellflächen ein, ein eigener Stadtplan führt Radler ans Ziel. Die Ideen dafür hatte Ulrike Saade

Interview ULRICH SCHULTE

taz: Frau Saade, ob Stadienausbau, Sicherheit oder Werbung – die Fifa schreibt den Städten bei der WM vieles vor. Wie hat der Weltfußballverband die Fahrradfahrer bedacht?

Ulrike Saade: Zunächst überhaupt nicht.

Warum nicht?

Das Verkehrsmittel Fahrrad ist bei Ereignissen solcher Größenordnung in den Köpfen der Verantwortlichen noch nicht angekommen. Es gab kein Konzept. Bei unserer Recherche kam auch schon mal die verblüffte Gegenfrage: „Ach, Sie wollen, dass ein brasilianischer Fan, der mit dem Flieger in der Hauptstadt landet, zum Stadion radeln muss?“ Da kann ich nur sagen: Na, der eben genau nicht.

Wenn sprechen Sie denn dann an?

Natürlich sprechen wir Auto fahrende Berliner an, nicht Touristen. Dabei wollen wir nicht trocken belehren, sondern haben eine humorvolle Ansprache gewählt. Seit Ende vergangener Woche liegen Postkarten mit Karikaturen in Kneipen und Kultureinrichtungen aus.

Wie reagierte die Fifa auf Ihre Vorschläge?

Der Fifa-Transportmanager war schier begeistert. Und wir haben ja auch prompt eine 1a-Stellfläche für unser temporäres und mobiles Fahrradparken bekommen – direkt vor dem Olympiastadion. Die Rückmeldungen anderer Organisationen waren auch äußerst positiv. Ich denke, das Thema Fahrrad steht als solches kurz vor dem Durchbruch. Noch fehlt eigenes Handeln, aber die Bedeutung des Verkehrsmittels ist den Planern durchaus klar. Als ich 1980 den ersten Fahrradstadtplan von Berlin mitkonzipierte, war das noch ganz anders. Das Entlastungspotenzial des Rades wird erkannt.

Ihr Konzept bietet Radfahrern während der WM bewachte Umsonst-Parkplätze an. Wie funktioniert das System?

Der Senat hat aus dem WM-Topf investiert und rund 1.000 mobile Anlehnbügel gekauft. Sie bieten Abstellplätze für 2.000 Fahrräder und werden an zentralen Orten der Stadt, etwa dem Platz der Republik, dem Kulturforum oder dem Olympiastadion, montiert und eingezäunt.

Wie finde ich mein Rad zwischen hunderten anderen?

Der Radfahrer kommt an, gibt sein Rad ab. Dann wird es mit einem nummerierten Papierstreifen gekennzeichnet. Der Nutzer bekommt das entsprechende Gegenstück mit und muss es beim Abholen vorzeigen – das gleiche Prinzip wie an einer Theatergarderobe. 1-Euro-Jobber betreuen die Stationen. Gratis dazu gibt’s einen Service-Check. Fahrradmonteur-Auszubildende eines Berufsbildungsträgers prüfen an den Rädern den Luftdruck oder ziehen die eine oder andere Schraube nach.

Diese Parkplätze sind auf einem speziellen Stadtplan gekennzeichnet.

Richtig. Um das Konzept zu unterfüttern, hat der Senat 75.000 Fahrradstadtpläne drucken lassen. Besonders radfreundliche Routen, zum Beispiel solche mit einem Radstreifen, sind farblich hervorgehoben.

Solche Fahrrad-Pläne gibt es in Berlin aber schon lange. Werden durch solche Maßnahmen Autofahrer während der WM tatsächlich Rad fahren?

Die Hälfte aller in Berlin getätigten Autofahrten sind kürzer als fünf Kilometer – sie ließen sich bequem per Rad erledigen. Die Verkehrsverwaltung hat jetzt ausgerechnet: Wenn nur zwei Prozent dieser Kurzstreckenfahrer einen Weg mit dem Rad machen, lassen sich 25.000 Autofahrten am Tag vermeiden. Das wäre eine spürbare Entlastung.

Das Angebot gilt aber nur für einen Monat. Wird es die Menschen dauerhaft zum Umsteigen bewegen?

Leute, die zur Fanmeile mit dem Rad fahren, werden erkennen, wie beweglich sie mit dem Verkehrsmittel in einer vollen Stadt sind, wie viel Spaß Bewegung an der Luft macht und wie schnell sie am Ziel sind. Diese Erfahrung könnte für viele ein Anstoß sein, auch in Zukunft umzusteigen. Der Verzicht aufs Auto ist ein Gewinn an Lebensqualität.

Was passiert nach der WM mit den mobilen Radständern?

260 der Radbügel bleiben bei dem Berufsbildungsträger, der das Personal für das Projekt stellt. Falls das Angebot gut angenommen wird, könnte man sie bei anderen Großereignissen wieder aufstellen. Die anderen schenkt der Senat den Bezirken. Das zu organisieren, war übrigens gar nicht so einfach. In den Ämtern hieß es, man habe keine Zeit, sich auch noch um Anlehnbügel zu kümmern. Aber jetzt werden sie doch noch in Mitte und Charlottenburg vor Schulen und Sportplätzen aufgebaut.