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: Mensch und Natur sind verzaubert, ohne dass es mystisch raunt

Bilder wie aus einem Traum: Apichatpong Weerasethakuls „Tropical Malady“ (2004) liegt endlich als DVD vor

Am Anfang liegt eine Leiche im Gras, man erkennt sie schlecht. Soldaten sind unterwegs, sie haben die Leiche gefunden am Rand eines Waldes. Die Leiche kümmert sie wenig, sie machen Scherze im Sprechfunkverkehr. Eine kurze Einstellung lang sieht man, im selben Gras, am Rand desselben Waldes, einen nackten Mann, der sich vorsichtig bewegt. Auch ihn erkennt man schlecht. Wer die Leiche ist, warum sie starb, was der Mann da tut, das erfahren wir in Apichatpong Weerasethakuls „Tropical Malady“ erst einmal nicht.

Das doppelte Rätsel des Beginns wird einfach übergangen. Stattdessen entwickelt sich, tastend, wie nebenbei erzählt, eine auf den ersten Blick ganz andere Geschichte. Der Blick des Soldaten Keng (Banlop Lomnoi) fällt in dem Haus, in dem die Soldaten Rast machen, auf Tong (Sakda Kaewbuadee), einen jungen Mann. Sie begegnen einander, in der Stadt, zufällig wieder. Tong flirtet, wie es scheint, im Bus mit einer Frau, da klopft ihm, durchs Fenster vom Transportwagen der Soldaten herunter, Keng auf die Schulter. Die nächste Begegnung ist kein Zufall mehr.

Weerasethakul erzählt diese Geschichte einer Annäherung, als erzählte er nicht. Als könne der Blick der Kamera wie von selbst an diese Bilder gelangen. Die Körper der Darsteller und ihre Sätze suchen und begegnen einander ungelenk. Sie sitzen – draußen wieder, nicht in der Stadt – in einer Art Pavillon. „Darf ich meinen Kopf in deinen Schoß legen“, fragt Keng. „Nein“, sagt Tong. Dann überlegt er kurz: „Doch“, sagt er. „Es war ein Scherz.“ Darauf legt Keng seinen Kopf in den Schoß von Tong, und sie schweigen. Einmal sitzen sie im Kino, der eine legt seine Hand auf das Knie des anderen. Der legt sein rechtes Bein auf die Hand auf seinem Knie und hält sie gefangen; die Hand und das Bein balgen miteinander, und es ist, als merkten die beiden erst in diesem unernsten Kampf, dass es um Liebe geht und Lust.

Das könnte so weitergehen, aber es geht nicht so weiter. Denn Tong, eben noch im Bild, wird verschwunden sein. Keng blättert durch ein Fotoalbum, die Bilder des Films beginnen zu flackern, dann setzen sie aus, das Letzte, was wir sehen, ist ein Foto von Tong, dann wird die Leinwand erst einmal schwarz. Der Film setzt neu ein, und es ist, als käme er nun auf den Beginn zurück. Der Ton freilich ist ein anderer. Eine Art Erzähler meldet sich zu Wort und verweist in Bild- und Schrifttafeln auf die Legende von einem Schamanen, der als Geist in einen Tiger fährt.

Und der Schamane, der Geist und der Tiger fahren nun in den Film. Wechselte der erste Teil noch zwischen Stadt und Natur, spielt der zweite ganz im Dschungel. Das Verhältnis zwischen den Teilen ist nicht klar. Was sich ereignet, ist eine Transposition der Liebesgeschichte eher als ein radikaler Neubeginn. Ein Soldat, der vielleicht Keng ist, folgt im Dschungel einem nackten Mann, der vielleicht derjenige des Beginns ist. Ein Affe spricht zu ihm. Der nackte Mann und der Soldat begegnen einander, balgen miteinander, ein Kampf auf Leben und Tod und Einverleibung. Um den Gewinn eines neuen Selbst im Zwischenraum der Legende.

Wie im Traum leuchtet in der Nacht ein Baum voller Glühwürmchen im Dschungel. Wie im Traum die Begegnung des Soldaten mit dem Tiger auf dem Ast eines anderen Baums. Der Tiger blickt uns an, wir blicken ins Auge des Tigers. Das Erstaunliche ist, dass wir dem Film dahin folgen. Wie schon im Vorgänger, „Blissfully Yours“ (2001), gelingt es dem jungen thailändischen Regisseur, die Natur und den Menschen darin zu verzaubern, ohne jedes mystische Raunen. Stattdessen das naturalistische Rauschen des Winds in den Zweigen, Geräusche des Dschungels bei Nacht. Der Blick des Films auf die Liebe und die Liebenden ist so beiläufig und scheinbar dokumentarisch wie der auf den Tiger und den Dschungel und die Nacht. Es sind dieser Blick und diese sehr physische Verortung des Menschen zwischen Zivilisation und Natur, die das Werk Weerasethakuls im Kino der Gegenwart so einzigartig machen.

Es wäre schön gewesen, wären die Schwarznuancen der Bilder bei der Digitalisierung der DVD etwas weniger verrauscht geraten. Der deutsche Titel „Liebe kennt nur den Moment“ klingt irreführend. Dennoch darf man sich freuen, dass einer der großen Würfe im Kino der letzten Jahre nun jedem zugänglich ist.

EKKEHARD KNÖRER

Die DVD ist zum Beispiel über www .salzgeber.de für 22,90 € zu beziehen