Der Ausstand der Anständigen

Seit hundert Tagen streiken die Beschäftigten der Baumaschinenfirma CNH. Sie kämpfen für ihre Arbeitsplätze – oder zumindest für eine ordentliche Abfindung. Ihre Motivation ist ungebrochen

VON SILKE KOHLMANN

Seit 100 Tagen wehen die roten IG-Metall-Fahnen vor dem CNH-Werk in Spandau. Seit 100 Tagen prangt die Schrift am Zaun: „Dieser Betrieb wird bestreikt.“ Zum hundertsten Mal haben sich die Mitarbeiter des Werks an diesem Mittwochmittag in ihrem großen Streikzelt vor den Werkstoren versammelt. Und dennoch: „Wir sind genauso frisch wie am ersten Tag; unsere Motivation ist vorhanden“, sagt ein 29-Jähriger Industriemechaniker. Zu 100 Prozent, fügt er hinzu. Natürlich.

Er und seine Kollegen wollen den Kampf um den Erhalt ihrer Arbeitsplätze – oder zumindest ein alternatives Beschäftigungskonzept und Abfindungen – nicht aufgeben. Der Mutterkonzern Fiat plant, die Baumaschinenfirma Ende des Jahres zu schließen. 333 von 500 Beschäftigten würden ihren Job verlieren – obwohl das Unternehmen schwarze Zahlen schreibt.

Unterstützung erhalten die Streikenden vom Senat. Der hatte Fördermittel in Höhe von 70 Millionen Euro an CNH gezahlt. Die nutzt Wirtschaftssenator Harald Wolf (PDS) als Druckmittel gegen die Unternehmensführung. Zum hundertsten Streiktag besucht Wolf die Streikversammlung im großen Zelt und verspricht: „Die 70 Millionen Euro Fördermittel sind für eure Arbeitsplätze eingesetzt worden, nicht um den Profit des Fiat-Konzerns zu maximieren.“

Wolf beglückwünscht die Streikenden zu ihrer Moral und ihrem Kampfgeist. „Ihr kämpft für die Zukunft der Industrie und gegen Unternehmen, die sich der sozialen Verantwortung entziehen.“ Er versichert, dass der Senat gemeinsam mit der IG Metall weiter für die Sicherung der Arbeitsplätze kämpfen wird.

An den Erhalt der Arbeitsplätze glaubt der junge Industriemechaniker nicht mehr. „Aber ich hoffe auf ein Verhandlungsergebnis, das dem Unternehmen zeigt, dass es einen Standort nicht so einfach abwickeln kann.“ Er hat seine Ausbildung hier gemacht, seit zehn Jahren ist er fest angestellt. Bei einer Entlassung rechnet er sich wegen seines jungen Alters gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt aus.

Keine Hoffnung auf einen neuen Job hat sein Kollege, ein 58-jähriger Schlosser. „Ich muss den Gürtel in Zukunft enger schnallen. Meine Frau arbeitet zwar, aber man hat seine finanziellen Verplichtungen.“ Trotzdem gilt seine Solidarität den Kollegen. „Bei mir ist bald ein Ende in Sicht. Dass jüngere Kollegen die Zukunft düster sehen, kann ich gut nachvollziehen.“

Im Moment ist ein Großteil des Einkommen der Streikenden noch über die Streikkasse gesichert. Trotzdem kommt die 5.000-Euro-Spende von Dieter Scholz, dem DGB-Vorsitzenden von Berlin-Brandenburg, gerade recht. Scholz ruft den Streikenden zu: „Das gewerkschaftliche Herz Berlins schlägt zurzeit in Spandau. Ihr seid das gewerkschaftliche Herz.“

Die hören das gerne. Und wollen weiter kämpfen. Dass er und seine Kollegen schon 100 Tage durchgehalten haben, gibt dem Industriemechaniker ein gutes Gefühl: „Man geht jeden Abend mit geradem Rückgrat nach Hause.“