Versuch über die Geister

Die Debatte um den Heine-Preis (1): Peter Handke nimmt zu den Vorwürfen gegen ihn Stellung, setzt auf „dritte Dinge“ und hofft, „die schlimmen oder vergifteten Worte“ mögen die Sprache verlassen

VON GERRIT BARTELS

Ob die Düsseldorfer Lokal- und die nordrhein-westfälischen Landespolitiker, die die Vergabe des Heinrich-Heine-Preises an Peter Handke so selbstgewiss verhindern wollen, mit dem Lesen schon begonnen haben? Ob sie sich jetzt noch einmal von ihrer Überzeugung abbringen lassen, „dass für den Heine-Preis nicht preiswürdig ist, wer den Holocaust relativiert“, wie das Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Jürgen Rüttgers in einer aktuellen Fragestunde formulierte? Ob es hilft, dass Handkes Verlegerin Ulla Unseld-Berkiéwicz gedroht hat: „Wenn es nicht zu einem öffentlichen Aufschrei führt, dass einer der größten Dichter derart geächtet wird, ist das ein Zeichen für den drohenden Bankrott unserer Kultur“?

Peter Handke jedenfalls hat, nachdem er am Dienstag in der FAZ kurz richtig gestellt hatte, „was ich nicht sagte“, gestern in der Süddeutschen Zeitung zu den Vorwürfen gegen seine proserbischen Positionen Stellung genommen. Darin schreibt er, nachdem er darum gebeten hat: „Hören wir einander endlich an, statt uns aus feindlichen Lagern anzubellen und -zuheulen“, nachdem er darum gebeten hat, „alle Vergleiche und Parallelen“ sein zu lassen: „Ich wiederhole aber, wütend, wiederhole, voller Wut auf die serbischen Verbrechen, Kommandanten, Planer: Es handelt sich bei Srebrenica um das schlimmste ‚Verbrechen gegen die Menschlichkeit‘, das in Europa nach dem Krieg begangen wurde.“

Und er erklärt in seinem Text noch einmal, wie es zu seinen irrigen Juden-Serben-Vergleichen und dem in Rambouillet gesprochenen Satz „die Serben sind noch größere Opfer als die Juden“ kam, wie er seiner Ansicht nach „auf lächerliche Weise die Worte verwechselt“ hatte und er sich gleich darauf in der FAZ korrigierte.

Was er nicht macht: davon abzurücken, auch auf kroatische und muslimische Lager und dort begangene Verbrechen verweisen zu dürfen, auch den Überlebenden der „muslimischen Massaker“ zuhören zu wollen, auch den Serben ein Recht auf Leid und Unrecht zugestehen zu wollen. Handke bleibt sich hier treu, und warum sollte er das jetzt auf einmal nicht mehr tun? Ihm gehe es, so erklärt er seine Teilnahme an der Beerdigung von Milošević, nicht um Loyalität zu Milošević, „sondern die Loyalität zu jener anderen, der nicht journalistischen, der nicht herrschenden Sprache“.

Das kann man naiv finden, so wie seinen Wunsch, die bösen Geister, „die schlimmen oder vergifteten Worte“ mögen doch bitte schön die Sprache verlassen, als ob Sprache immer nur rein und gut und unschuldig sein könnte!, so wie man das seinerzeit naiv und verwerflich fand, dass Handke sich offenen Auges der Gefahr aussetzte, sich von der serbischen Propaganda instrumentalisieren lassen. Aber ist es gleich illegitim?

Man versteht jedenfalls, wie Handke bewusst in den falschen Geruch von Slobodan Milošević geriet; man versteht das noch besser, wenn man seine Jugoslawienbücher liest. Wenn man liest, wie er 1986 in „Die Wiederholung“ über den jugoslawischen Karst schreibt, wenn er in „Abschied des Träumers vom Neunten Land“ schreibt, dass er sich „nirgends auf der Welt als Fremder so zu Hause gefühlt“ habe „wie in dem Land Slowenien“. Und vor allem wenn man liest, wie es ihn in „Gerechtigkeit für Serbien“ und auf seinen Reisen in das ihm bis dahin noch weitgehend unbekannte Serbien „hinter den Spiegel“ drängte, wie er nicht nur Gegenbilder zu den von ihm beklagten immergleichen Bildern der West-Medien sehen wollte, sondern „dritte Dinge“. Wie er mit Hermann Lenz „nebendraußen“ sein wollte, wie er merkte, dass „jener dritte Blickwinkel, der kaum je vorkam – nicht vorkommen durfte“. Dass es nicht allein mit „nebendraußen“ zu tun hatte, dass sich in das Epische und das Wahre seiner Suche auch immer das rein Politische mischte, dafür hat Handke selbst und oft irritierend gesorgt. Und das hat er selbst in Bezug auf das Ansehen seiner Person zur Genüge erfahren müssen. Bis heute, wo er von Jürgen Rüttgers leichthin und falsch als „Holocaustrelativierer“ oder einer Düsseldorfer Lokalpolitikerin wie Marie-Agnes Strack-Zimmermann fälschlichst als Relativierer von „Mord, Vertreibung, Massenfolter und Vergewaltigung“ bezeichnet wird.