Auf der Suche nach dem Protest

Morgen wird gegen die Sozialpolitik der großen Koalition protestiert. Geplant ist die größte linke Demo des Jahres. Doch die Mobilisierung ist mau. Auf 20.000 Teilnehmer hoffen die Veranstalter – wenig im Vergleich zu den Demos vor zwei Jahren

von FELIX LEE

Es mutet schon seltsam an: Da verschärft die große Koalition die Sanktionsmöglichkeiten bei Hartz IV und debattiert über die Einführung von Null-Euro-Jobs. Die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di hat ihren größten und längsten Streik ihrer Geschichte hinter sich, in den Unikliniken wird sogar noch gestreikt. Wenn jedoch Erwerbsloseninitiativen, Linkspartei und Gewerkschaften zu einer gemeinsamen Großdemonstration gegen Massenarbeitslosigkeit und Sozialabbau aufrufen, bleiben die meisten Betroffenen zu Hause.

Zunächst ist dies nur ein Horrorszenario für die OrganisatorInnen der großen Sozialabbau-Demonstration, die morgen unter dem Motto „Schluss mit den Reformen gegen uns“ vor dem Roten Rathaus stattfinden und über den Hackeschen Markt, die Friedrichstraße und Unter den Linden zurück zum Alexanderplatz führen soll. Aber es ist ein durchaus realistisches Szenario. „Wir wären schon zufrieden, wenn wir 10.000 bis 20.000 Menschen mobilisieren können“, gesteht Martin Behrsing, Sprecher des Erwerbslosen Forums Deutschland und Hauptinitiator der Demonstration. „Das wäre mehr, als der DGB in der letzten Zeit geschafft hat.“

Dabei ist es die einzige Großdemonstration gegen Sozialabbau in diesem Jahr – wahrscheinlich sogar die größte linke Demonstration in diesem protestarmen Jahr überhaupt. Vor zwei Jahren im Herbst demonstrierten 50.000 gegen die Einführung von Hartz IV – und zwar wöchentlich. Seit dem vergangenen Jahr ist es deutlich ruhiger geworden. „Die Leute mussten erst mal sehen, wie sie mit der verringerten staatlichen Hilfe überhaupt klar kommen“, bemüht sich Behrsing um eine Erklärung. Aber jetzt würden viele von ihnen merken, dass sie sich mit dem Arbeitslosengeld II nicht arrangieren könnten. „Die Leute haben die Schnauze voll“, gibt sich der Erwerbslosensprecher zuversichtlich. Das bringe sie auch wieder auf die Straße.

Zu den Veranstaltern zählen neben Erwerbslosen- und Sozialinitiativen, dem globalisierungskritischen Netzwerk Attac und der Linkspartei.PDS auch gewerkschaftliche Gruppen. Ver.di-Chef Frank Bsirske persönlich will auf der Abschlusskundgebung reden. Doch gerade die Mobilisierung bei den Gewerkschaften verläuft mau. Dabei waren sie es, die zwei Monate nach der Bundestagswahl im November 2005 auf einer Aktionskonferenz der sozialen Bewegungen verabredeten, ab Frühjahr 2006 gegen den Sozialabbau der großen Koalition zu demonstrieren. Doch nun sucht man Aufrufe der Gewerkschaften vergeblich.

Aber auch die Mobilisierung anderer linker Gruppen verläuft eher verhalten. Plakate sind an den szenebekannten Orten der Stadt kaum zu finden, die 40 angekündigten Busse aus ganz Deutschland noch lange nicht ausgebucht. Und ob die Veranstalter aus Nordrhein-Westfalen ihren Sonderzug tatsächlich voll bekommen, steht in den Sternen. Nur der linksradikale Zusammenschluss „Interventionistische Linke“, an der unter anderem auch die größte Antifa-Gruppe Berlins, die ALB, sowie die Gruppe FelS (Für eine linke Strömung) beteiligt sind, verschickt eifrig seine Aufrufe zu einem „Wir wollen alles“-Block – per E-Mail.

Martin Behrsing gibt sich dennoch zuversichtlich. Mit der Demonstration am Samstag sollen die „Montagsdemonstrationen“ gegen Sozialabbau wieder aufleben. Sie soll eine „Initialzündung“ sein, um den „zivilen Ungehorsam“ gegen den „Abbau des Sozialstaates und die zunehmende Stigmatisierung von Arbeitslosen“ auszudehnen. Dabei vergisst Behrsing eins: Die Montagsdemonstrationen gibt es noch. Organisiert von der marxistisch-leninistischen MLPD finden sie Woche für Woche statt. Und sie zählen jedes Mal etwa zwei Dutzend Teilnehmer.

Beginn der Demonstration am Samstag ist um 13 Uhr vor dem Roten Rathausinland SEITE 7