Wildes Denken mit weiter Aussicht

Reife, erwachsene Hysterie: Der Kölnische Kunstverein zeigt mit „Fantasia Colonia“ eine Retrospektive der Theorie-Performerin und Malerin Jutta Koether. Ihr Ritt durch Feminismus, Pop und das Nichteinverstandensein hat mehr Diskurs- als Markwert

VON HARALD FRICKE

Ein Bild musste draußen bleiben. Es hängt jetzt auf dem Dach des Kölnischen Kunstvereins, ein schmaler Sims schützt die Leinwand notdürftig vor dem nächsten Regen. Trotzdem ist der Ort gut gewählt, weil sich dadurch die Ausstellung über die Fensterfront hinaus in einen luftigen Raum öffnet. Zudem passen alle Motive der 1990/91 unter dem Titel „massen“ entstandenen Serie, die oben im zweiten Stock untergebracht sind, in diese Präsentation: Szenen der Wiedervereinigung, Gläubige an der Kaaba in Mekka – Weltgeschichte als Naturtheater und Plein-Air-Malerei. Und sollte das eine Bild doch Schaden nehmen, ist es auch nicht schlimm, sagt Jutta Koether. Immerhin hat schon Edvard Munch fertige Gemälde vor seinem Atelier ungeschützt dem schlechten Wetter ausgesetzt, „und etwas Wasser, das kann ein Bild aushalten“.

Etwas aushalten können, ob Witterung, räumliche Widrigkeiten oder überhaupt ästhetische Widersprüche, das sind Formulierungen, die die 1958 geborene Koether oft und gerne gebraucht, wenn sie über ihr Verhältnis zur Kunst spricht. Von Kritikern ist sie für ihre kulleräugigen Mädchengesichter häufig gescholten worden; ihr Stil gilt als unausgegoren, ein wenig naiv, mit Ornamenten überladen und auch leicht verschwiemelt. Was bei Albert Oehlen oder Martin Kippenberger souverän als ironisches „bad painting“ durchging, wurde Koether damals schlicht als Unfähigkeit ausgelegt.

Andererseits hat man sie für ihre Spex-Kolumnen über Kunst in Zeiten von Poptheorie Mitte der Achtzigerjahre in den Diskurs-Himmel gelobt, da war sie durchaus eine local heroine der Kölner Szene. Als sich Künstler und Künstlerinnen während der Neunzigerjahre kollektiv organisierten und Politkontexte cool wurden, blieb sie allerdings stur beim Medium der Malerei, zog nach New York um und jammte mit befreundeten Musikern von Sonic Youth; als um 2000 dann Neue Deutsche Malerei chic und erfolgreich wurde, fiel sie wieder durch das Raster des Kunstmarktes – ihre Textperformances zwischen Poetry-Dub, Sylvia-Plath-Exegese und „reifer, erwachsener Hysterie“ (Koether), zu denen sie mit vollem Körpereinsatz auf dem Keyboard orgelte, waren unverkäuflich. Entsprechend sieht sie sich nicht in Nachbarschaft der neuen Malerfürsten, sondern eher in der Tradition von Jazzmusikern, die trotz legendärem Status niemals reich geworden sind. Mehr Albert Ayler als Leipziger Schule.

Tatsächlich ist „Fantasia Colonia“, Koethers erste Retrospektive in Deutschland, kein mustergültiger Parcours durch ein womöglich festgefügtes Werk. Es zerrt, es sperrt, es gibt viel Feedback für die Augen. Im Untergeschoss feuert ein Stroboskop seine Blitze auf eine graue Wand, an der die gestisch verwühlt gemalten Bilder im Flashlight unkenntlich mitflimmern. Die Haupthalle wird von einem 15 Meter langen Paravent aus gezacktem Plexiglas bestimmt, der als Stellfläche für knapp zwei Dutzend Gemälde dient, die von Frauenporträts in esoterischen Farben bis zu darkem Gothic-Symbolismus reichen. Einige Gemälde hängen mit dem Rücken zum Publikum, andere schauen aus dem Fenster des Kunstvereins. So kann man „Polsprung“ (2002) nur von der Straße aus sehen – doch dafür ist das Bild wiederum zu kleinteilig, um irgendetwas zu erkennen.

Stringenz jedenfalls sieht anders aus. Obwohl die Ausstellung an die siebzig Arbeiten der letzten zwanzig Jahre umfasst, setzt Koether nicht auf ordnende Chronologie, wohl aber auf eine Fülle an auseinander driftenden Blickwinkeln. Mal wird Cézanne zitiert, mal wird ein Bild zum nietenüberzogenen Lack- und Leinwand-Fetisch als Hommage an den amerikanischen Undergroundfilmer Kenneth Anger. Es ist ein Ritt durch Themen, die unermüdliche Arbeit an der richtigen Theorie: Feminismus, Pop, das Nichteinverstandensein mit Deutschland, die Aneignung berühmter männlicher Vorbilder, die Auflösung einer verbindlichen künstlerischen Handschrift. Wenn man sie fragt, warum eindeutige Festlegungen fehlen, erklärt Koether ohne groß zu zögern, dass sie mit der Vorstellung vom Künstlersubjekt wenig anfangen kann und stattdessen lieber den diffusen gesellschaftlichen Strömen „zu einem Ausdruck verhilft“.

Das Schwanken prägt die Bilder. Mitunter ändern sich Stimmungen und Sujets von Farbschicht zu Farbschicht, geht auf dem 2,50 Meter hohen „méde“ von 1992 eine Intellektuellengrimasse mit Brille unter grünen Wirbeln verloren. Überhaupt liegen Psychedelik und Psychodynamik nur einen Pinselstrich weit auseinander. Oder wie es auf einer der schwarzen Tafeln innerhalb von Koethers „Entourage“-Installation in silberner Tinte geschrieben steht: „form follows freedom“. Das ist ein schöner, lichter Gedanke, der ebenso konsequent gleich wieder in diesem wunderbar bühnenartigen Setting aus übermalten Zeitungen, collagierten Fotos und Textschnipseln abtaucht.

Natürlich steckt hinter der scheinbaren Diffusion einiges an Methode. Anstelle von stilistischer Wiedererkennbarkeit setzt Koether auf die Technik der Bricolage und übt sich in der Improvisation. Wildes Denken erzeugt wilde Malerei – und umgekehrt. Mit begrenzten Mitteln ein heterogenes Feld schaffen, darin hat Jutta Koether einige Meisterschaft bewiesen: Plakate früherer Einzelausstellungen, eine Vitrine mit Künstlerbüchern, Mitschnitte von Happening-Konzerten, und wer Colour Field Paintings mag, bekommt im Treppenhaus eine Videoschleife zu sehen, die 512 streng geometrisch komponierte Kästchenzeichnungen zeigt, die zwischen dem 10. 12. 2000 und dem 6. 5. 2002 entstanden sind, eine an jedem Tag.

Wie genau kann man sein? Wie unpräzise muss man werden? Offensichtlich macht es Koether Spaß, diese Fragen in der eigenen Praxis aufzuweichen. Immer noch traut sie dabei dem lenkenden Künstler-Ich nicht über den Weg. Das aber dann auch exemplarisch: Im Foyer hängt ein aschschwarzer Bildblock mit einem getüpfelten K in der Mitte. Das Bild trägt den Titel „Unganzheitssymbole“. K wie Koether. Oder wie Köln.

Bis 13. 8., Kölnischer Kunstverein