„Wir haben uns gesteigert“

Heute ist Endspiel bei der ersten Deutschen Meisterschaft im Straßenfußball der Obdachlosen in Kiel. Ein Gespräch mit dem Trainer der deutschen Mannschaft, Dieter Hollnagel, über seine Aufgabe

Interview: FRIEDERIKE GRÄFF

taz: Wie ist die Resonanz am ersten Tag der Deutschen Meisterschaft der Obdachlosen?

Dieter Hollnagel: Das Interesse ist groß. Das Rondell ist gefüllt und auf dem Rasen sitzen auch viele Zuschauer, insgesamt rund 400. Wir hoffen, dass sich zum Endspiel noch mehr Leute hierher bequemen.

Wie kommt es, dass die erste Deutsche Meisterschaft deutlich nach dem ersten „Homeless Worldcup“ stattfindet?

Die Weltmeisterschaft wurde vom Verband der Straßenzeitungen ins Leben gerufen, andere Länder, vor allem Großbritannien sind wesentlich weiter als wir. Bei den Weltmeisterschaften sind wir bislang 27., 22. und im letzten Jahr 16. geworden. Da haben wir uns gesagt: Wenn wir auf Erfolg spielen wollen, können wir nicht nur aus acht Straßenzeitungen die Spieler aussuchen.

Warum sind die Briten so viel besser?

Wir hatten in der Vergangenheit Spieler dabei, die überhaupt nicht spielen konnten, die aber die Straßenzeitungen vertreten haben. Bei den Engländern ist das Niveau sehr, sehr hoch, sie haben ehemalige Spieler von Manchester United oder aus Londoner Mannschaften, die der Drogensucht verfallen sind. Gegen solche Leute, also richtige Athleten, haben wir überhaupt keine Chance. Außerdem finden in Großbritannien kontinuierliche Meisterschaften statt und die so genannten Nationalmannschaften werden einmal pro Monat zusammengezogen.

Was steht bei Ihrer Arbeit im Vordergrund: der Turniererfolg oder soziale Aspekte?

In erster Linie stehen die sozialen Komponenten. Wir wollen mit diesem Turnier auf das Thema Obdachlosigkeit aufmerksam machen. Aber Deutschland ist auch ein Fußballland. Und wenn man denn von 28 Ländern 27. wird und Spieler hat, die nicht mal den Ball stoßen können, dann muss man sich etwas überlegen. Und das haben wir getan: Wir haben uns kontinuierlich gesteigert.

Wie gehen Sie mit praktischen Problemen, wie dem seltenen Training oder Suchtproblemen der Spieler um?

Die Probleme haben wir bislang nicht lösen können. Während sich die anderen Ländern kontinuierlich vorbereiten und die Spieler es als Chance sehen, kommen wir mit einer Truppe an, bei der ich mir zum Beispiel heute erst die Leute aussuche. Ich rede zwar mit den Betreuern, wie sie sich verhalten und wie es mit dem Alkohol steht. Wir unterweisen sie vor der Fahrt, dass sie keinen Alkohol zu trinken haben. Aber es sind Trinker und die Sucht ist einfach größer. Zum Ende des Turniers, wenn die Kraft nachlässt und die Ergebnisse nicht mehr so kommen, dann brechen teilweise alle Dämme. Da sind die Polen, die Russen, Ukrainer oder Österreicher einfach weiter.

Haben Sie bislang den Eindruck, dass Sie hier in Kiel einen Spieler finden werden, der die Mannschaft voranbringen könnte?

Trotz aller unserer nicht gerade blendenden Erfolge haben wir immer Spieler, die über dieses Turnier vom Alkohol weggekommen sind. Aus der letzten Mannschaft – jede darf nur einmal antreten – hat einer eine Kochlehre begonnen und zwei andere sind wieder in Arbeit gekommen. Darauf sind wir stolz. Hier habe ich bislang ein Spiel verfolgt und dabei zwei Spieler gesehen, die wesentlich besser sind als meine Spieler in den letzten Jahren.

Profitieren Sie in der öffentlichen Aufmerksamkeit von der bald beginnenden Fußball-WM?

Wir sind eine andere Liga. Ich habe nicht das Gefühl, dass wir davon profitieren. Heute war hier ein Vertreter der Egidius-Braun-Stiftung des Deutschen Fußballbunds, der uns 1.500 Euro überreicht. Das freut uns, aber es hilft uns nicht wesentlich weiter. Ich hätte gern mit den Leuten, die ich jetzt auswähle, noch ein Trainingslager gemacht und der Kollege von der Stiftung hat uns angeboten, uns ein Wochenende in Malente zu besorgen. Ansonsten muss ich mich darauf verlassen, dass die Jungs sich zu Hause vorbereiten.

Wenn Sie die 1.500 Euro nicht voranbringen – was würde denn wirklich helfen?

Also, diese 1.500 Euro bringen uns voran. Aber wir fliegen dieses Jahr nun zur Weltmeisterschaft nach Südafrika und insofern ist das ein Tropfen auf den heißen Stein. Ich werde immer wieder angesprochen: „Muss das denn sein, diese Geldausgaben?“ Ich muss dazu sagen, dass wir in Südafrika, wie auch in den vergangenen Jahren, unter einfachsten Bedingungen kampieren.

Wie bekommen Sie das Geld für die Flüge zusammen?

Wir haben es noch nicht zusammen. Verständnis dafür, dass Obdachlose nach Kapstadt fliegen – das haben die wenigsten. Wir werden aber auf jeden Fall runterkommen, weil der Bundesverband der Straßenzeitungen über gewisse Einnahmen verfügt. Und nach der WM in Göteborg hat ein anonymer Spender dem Verband 5.000 Euro überwiesen.