theorie und technik
: Ist „Jude“ ein heiliger Signifikant?

Der Philosoph Alain Badiou als Gegner des Philosemitismus

„Die intellektuelle Situation in Frankreich“ ist anhaltend durch heftige Diskussionen zum Status des Wortes „Jude“ bestimmt. So beginnt der Pariser Starphilosoph Alain Badiou sein neuestes Buch „Circonstances 3“ – Teil einer Reihe, die er als Interventionen ins politische Tagesgeschehen versteht. Das schmale Bändchen ist nicht gerade dazu angetan, diese Diskussion zu beruhigen. Seine Ausgangsfrage lautet, ob das Wort „Jude“ in der öffentlichen Diskussion ein Ausnahme-Signifikant sei. Damit hat Badiou die Fronten geklärt: Seine Gegner sind jene „Sakralisierer“, denen er vorwirft, das Wort „Jude“ in einen heiligen Signifikanten verwandelt zu haben – eine Art intellektuelle „Israel-Lobby“.

Dieser weit verbreitete „Philosemitismus“ behaupte, so Badiou, die Vernichtung der Juden im „Dritten Reich“ würde deren Namen inkommensurabel mit allen anderen Namen machen. Die „Sakralisierer“ würden, laut Badiou, so weit gehen, eine paradoxe Entsprechung zu unterstellen, in der die Vernichtung die Auserwähltheit des jüdischen Volkes gewissermaßen „bestätigt“. Diese Verbindung von Auserwähltsein und Selektion führe aber dazu, dass sich nunmehr, wie in einer umgekehrten Erbsünde, die „Gnade, ein unvergleichliches Opfer gewesen zu sein“, an alle Träger des Prädikats „Jude“ vererbe, seien diese nun „Staats- oder Armeechefs“. So würde das Prädikat für die Forderung nach einem Ausnahmestatus benutzt: Die Gaskammern würden dem „Kolonialstaat Israel“ einen illegitimen, Badiou unerträglichen Sonderstatus verschaffen.

Badiou weist diese Opferideologie nachdrücklich zurück: „Dass die Nazis Millionen Menschen, die sie ‚Juden‘ genannt haben, umgebracht haben, begründet in meinen Augen keinerlei neue Legitimation dieses identitären Prädikats.“ Badiou fordert, dass unser Mitleid den Opfern als Menschen und nicht als Juden zu gelten habe. Denn „wahres Mitleid“ könne nicht „dem Prädikat gelten, in dessen Namen die Verbrechen geschahen“. Deshalb sei es auch völlig verfehlt, so seine Schlussfolgerung, aus den Verbrechen einen „Mehrwert für das Prädikat ‚Jude‘ “ zu ziehen. Durch solchen Profit würden die Sakralisierer das Geschäft der Nazis, die jüdische Ausnahmestellung, mit umgekehrten Vorzeichen weiterführen. Als exemplarische Opfer konnten die Juden nun zu ungestraften Tätern werden. Für Badiou lautet die Lektion des Nazismus deshalb, dass jedes Hochhalten von „kommunitären Prädikaten“ – ob kriminell oder heiligend – das Schlimmste bewirkt. Es gelte also, jedes solches Prädikat zurückzuweisen, vor allem das jüdische. Das bedeutet: Der jüdische Staat sei nicht durch den Holocaust zu rechtfertigen. Deshalb könne man seinen Anspruch, ein jüdischer Staat zu sein, nicht akzeptieren.

An dieser Stelle verbietet sich Badiou nachdrücklich, als Antisemit bezeichnet zu werden. Diese Art von „politischer Erpressung“ weise er zurück. Es gebe zwei Arten, gegen den Antisemitismus zu sein: als Sakralisierer oder als Universalist. Badious Universalismus hat paradoxerweise nur jüdische Väter: Paulus, Spinoza, Marx, Freud, Trotzki – eine Liste von guten Juden quasi, deren Universalismus aus ihren jeweiligen Brüchen mit dem Judentum hervorgehe. Heute wäre der entscheidende Bruch eben jener mit Israel als jüdischem Staat.

Denn ein moderner Staat, eine moderne Demokratie sei eine, „die alle, ohne Ansehung des Prädikats, zählt“. Deshalb kann der Ausweg aus dem Nahostkonflikt für Badiou nur ein gemeinsames, säkulares, demokratisches Palästina sein. Badious Königsweg dorthin aber lautet: Vergessen des Holocausts. Nur so sei ein universalistischer Staat zu erreichen, der – gemäß dem Paulus-Wort – „weder Juden noch Griechen“ kenne.

Es sei dahingestellt, welcher Staat dieses Postulat tatsächlich erfüllt. Von Israel fordert Badiou jedenfalls, es solle „der am wenigsten rassistische, der am wenigsten religiöse, der am wenigsten nationalistische aller Staaten“ werden. Schaut so die Befreiung von der jüdischen Ausnahmeposition aus? Badious Universalismus ist ein in seiner Negation zu sich gekommenes Judentum. Das wahre Judentum ist ihm jenes, das aufhört, eines zu sein. In diesem Sinne wäre Israel aber gerade dann, wenn es kein jüdischer Staat mehr wäre, ein wahrer jüdischer Staat.

ISOLDE CHARIM