Kein Geld zum Kinderpflegen

Wegen Hartz IV: Tagesmutter soll aus ihrer Wohnung ausziehen und damit ihre berufliche Existenz gefährden. Die Aufforderung kam Weihnachten, seitdem erhielt sie nicht mal einen Gesprächstermin

Von Kaija Kutter

Kurz vor Weihnachten, am 22. Dezember, erhielt die Tagesmutter Nicole W. unschöne Post der Arge (Arbeitsgemeinschaft zur Hartz-IV-Umsetzung) in Altona. Die Warmmiete für die Dreizimmerwohnung in der Chemnitzstraße sei mit 619 Euro zu hoch. Da der Alleinerziehenden für sich und ihren siebenjährigen Sohn Jaleel allenfalls 409 Euro zustünden, solle sie bis zum 15. Juni 2006 die Kosten senken, wobei „insbesondere ein Umzug“ in Betracht komme.

Nicole W. hat viele gute Gründe, in der 75 Quadratmeter großen Wohnung am August-Lütgens-Park zu bleiben. So arbeitet sie seit zehn Jahren als Tagesmutter und hatte zuletzt vier Kinder bei sich. Für deren Betreuung bekäme sie in einer kleineren Wohnung von 55 Quadratmetern vom Jugendamt keine Erlaubnis. Das heutige Wohnzimmer ist kindgerecht mit Tobesofas eingerichtet, in einem lichten Erker mit Blick in den Park stehen Spielzeugkisten bereit. Auch die unteren Regale im Zimmer des Sohnes, ihr eigenes Schlafzimmer, Küche und Essecke nehmen gewöhnlich die Sprösslinge anderer Eltern in Beschlag.

„Hier im Haus leben 16 Kinder. Die Eltern lieben mich“, berichtet W.. „Weil ich ihre Kinder nehme, wenn sie krank sind, können die problemlos ihre Berufe ausüben.“ Doch das Idyll ist in Gefahr. Weil sie von dem drohenden Umzug erfuhren, gaben drei Eltern ihre Kinder in eine Kita. Zur Zeit betreut sie nur noch ein Kleinkind, für das sie 244 Euro Pflegegeld bekommt: 200 Euro für die Verpflegung des Kindes und 44 Euro Honorar für ihre Erziehungsleistung. Obwohl sie sieben Anfragen hat, traut sie sich nicht, neue Kinder aufzunehmen: „Die Unsicherheit ist einfach zu groß.“

Geholfen hätte sicher ein klärendes Gespräch mit der Arge, doch das kam fast sechs Monate lang nicht zustande. „Zuerst bin ich im Januar drei Mal hingegangen, da haben sie mich immer wieder weggeschickt“, erinnert sich W.. Danach schickte sie vier Einschreiben, darunter am 15. Januar die schlichte Bitte um einen Beratungstermin. „Eine Antwort“, sagt sie, „habe ich nie bekommen.“

Nach W.s Rechnung argumentiert die Arge mit falschen Zahlen. So betrage ihre Warmmiete nur 555 Euro, wovon ohnehin 117 Euro vom Unterhalt des Sohnes beglichen würden, so dass die Arge nur noch 438 Euro zahlen müsse. Dies liege unter der Toleranz von zehn Prozent, um die ihre Miete die Grenze von 409 Euro übersteigen dürfe.

Hinzu kommt, dass die Eltern unter den Hartz-IV-Empfängern, was auch W. trotz ihrer Tagesmuttertätigkeit ist (siehe unten), auch pädagogische Gründe gegen einen Zwangsumzug anführen können. Ihr Sohn traute sich ein Jahr lang nicht aus dem Haus weil er „Hautfarbeprobleme hatte“. Nachdem er dies mit Hilfe der Erziehungsberatung überwand und nun gern in die erste Klasse geht, wäre ein Ortswechsel fatal.

Nach der taz-Recherche bei der Arge verkündete nun deren Sprecher René Tollkühn die „erfreuliche Botschaft“, dass Frau W. am 15. Juni „ganz neu“ einen Beratungstermin erhalte. Auch sei ihre Frist bis Ende Oktober verlängert. In der Sache bleibt die Arge hart. „Frau W. wird künftig nur Miete für 55 Quadratmeter Wohnraum erhalten“, sagt Tollkühn. Wenn sie in einer größeren Wohnung Tageskinder betreuen wolle, „kann sie das tun“. Nur müsse sie die Differenz „selbst darüber aufbringen, dass sie als Tagesmutter arbeitet“.

Es gebe „keine Sonderregelungen zur Angemessenheit von Wohnraum für Tagespflegepersonen“, sagt auch Sozialbehörden-Sprecherin Katja Havemeister. Die Mehrkosten für die Miete müssten „aus dem Tagespflegegeld“ bezahlt werden, dies sei als „Pauschale zu verstehen, die teilweise auch für Mietanteile verwendet werden kann“.

Für W. ist dies überraschend, denn sie ging bislang davon aus, dass das Pflegegeld für die Bedürfnisse der Kinder da ist. Sie würde sich aber darauf einlassen: „Hätte ich das schon im Januar gewusst, hätte ich die drei Pflegekinder behalten können.“