„Beginn einer neuen Ära“

Nach der Übernahme Mogadischus durch islamistische Milizen ist unklar, ob Hardliner das Ruder in Somalia übernehmen

AUS NAIROBI MARC ENGELHARDT

Omar atmet auf. Drei Monate hat der Familienvater in Somalias Hauptstadt Mogadischu ständig Angst gehabt. Einmal schlug ein Geschoss aus einer Panzerfaust in das Haus seines Nachbarn ein. In den rauchenden Trümmern starb ein noch nicht einmal ein Jahr altes Baby. „Doch jetzt ist endlich Frieden.“

Es ist ruhig in Mogadischu am Tag eins nach der islamistischen Machtübernahme. Kaum ein Soldat ist unterwegs, berichten Einwohner. Omar hofft, dass jetzt endlich Schluss ist mit den Kämpfen, die 15 Jahre lang geherrscht haben. Allein in den letzten vier Monaten starben über 320 Menschen, als islamistische und US-unterstützte Warlords sich eine brutale Schlacht um die Kontrolle der Stadt lieferten.

„Das ist der Beginn einer neuen Ära“, verkündete Scheich Scharif Scheich Ahmed, Führer der siegreichen Armee der Schariagerichte in Mogadischu, am Montag und versprach „Frieden, Sicherheit und Freiheit“. Noch vor einigen Monaten verkündete der Islamistenführer, kurz nachdem seine Milizen ein Synchronstudio für Bollywoodfilme zerstört hatten: „Das islamische Recht verbietet Film, Musik und Tanz.“ Doch der Sieger der schwersten Kämpfe in Mogadischu seit einem Jahrzehnt weiß: Er muss jetzt um jeden Preis den Eindruck vermeiden, nun regiere eine Art Talibanregime. Zwar übernehmen die Schariagerichte mit sofortiger Wirkung alle Gerichtsbarkeit in Mogadischu. Doch zugleich streckt Scheich Ahmed versöhnlich die Hand aus.

Entgegenkommen zeigt bereits die 2004 auf einer Friedenskonferenz in Kenia gewählte und weitgehend machtlose Exilregierung. Premierminister Ali Mohammed Gedi entließ unmittelbar nach dem Sieg der Schariaarmee die vier Minister seiner Regierung, die am erbittertsten gegen die neuen Herren Widerstand geleistet hatten. Ihre Milizen, „Antiterrorallianz“ genannt und von den USA finanziert, hatten am Sonntag ihre letzten Stützpunkte verloren. Nachdem auch die strategisch wichtige Stadt Balad gefallen war, flohen die einst so mächtigen Kriegsherren aus Mogadischu. Wohin, ist unklar.

Anders als die Warlords genießen die Schariamilizen in der eigentlich von religiöser Toleranz geprägten somalischen Gesellschaft einen Vertrauensvorschuss. Respekt eroberten sie sich, als sie inmitten des Chaos innerhalb der Clans und Subclans für Ordnung sorgten. Um clanübergreifende Urteile fällen zu können, schlossen sich die Schariagerichte in einem Netzwerk zusammen, samt Miliz. In Mogadischu, wo die Größe der Armee das politische Gewicht bestimmt, wurden die Schariagerichte so zum Machtfaktor.

Der Österreicher Nikolaus Grubeck, der an der Universität Harvard über gescheiterte Staaten forscht, hat in Mogadischu viele Schariagerichte besucht. Seine Bilanz: „Am Anfang haben sich die Gerichte deutlich vom Terror distanziert, aber mit ihrer wachsenden Bedeutung haben Extremisten immer mehr Einfluss gewonnen.“ Mit spektakulären Urteilen wie Anfang Mai, als ein 16-Jähriger öffentlich den Mörder seines Vaters erstechen musste, versuchen die Extremisten, Fanale zu setzen.

Einer der einflussreichsten Anführer der politisierten Schariagerichte ist Hassan Dahir Aweis. Der 61-Jährige gehört zur alten Garde der Dschihadbewegung Somalias, die gegen alle Ungläubigen zu Felde ziehen will. Gemeinsam mit talibangeschulten Afghanistanveteranen baute er Anfang der 90er-Jahre den militärischen Arm der al-Itihaad al-Islaami auf – eine somalische Islamistenarmee, die die US-Regierung nach dem 11. September 2001 auf die schwarze Liste setzte. Er fand im Kampf für einen Gottesstaat bei den Somalis kaum Unterstützung. Doch an die Macht will Aweis immer noch.

Parallel dazu hat sich in den vergangenen zwei Jahren eine neue Generation von islamistischen Kämpfern etabliert, die von dem gerade einmal 30-jährigen Aden Haschi Farah Ayro angeführt wird. Seine Gruppe wird mit dem Mord an vier ausländischen Helfern und dutzenden Somalis in Verbindung gebracht, die mit westlichen Geheimdiensten kollaboriert haben sollen. Ayro, ein Protegé Aweis, soll von den Taliban ausgebildet worden sein und beste Verbindungen zu al-Qaida besitzen.

Doch dass die Hardliner jetzt das Ruder übernehmen, hält der renommierte Analyst Matthew Bryden von der International Crisis Group für unwahrscheinlich. „Das wirklich Bemerkenswerte ist doch, dass die Dschihadbewegung in Somalia bislang kaum Unterstützung gefunden hat – obwohl der Boden für Islamisten hier eigentlich fruchtbar sein müsste. Aber die Somalis wollen keinen Gottesstaat, sondern eine funktionierende Regierung.“ Andere wagen gar keine Vorhersage. Pedram Yazdi, Somaliaexperte des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, meint: „Ob Frieden ist, kann man frühestens in einem Jahr sagen.“