„Das normale unerfreuliche Leben in der DDR“

Die Expertenkommission zur DDR-Geschichte wird scharf kritisiert, weil sie die Diktatur nicht kritisch genug betrachte. Unfug, sagt der Theologe und ehemalige Bürgerrechtler Richard Schröder. Die DDR war mehr als Stasi und Mauer

taz: Herr Schröder, die noch von Rot-Grün berufene Expertenkommission zur DDR-Geschichte ist kritisiert worden, weil sie mehr Darstellung des DDR-Alltags empfiehlt. Ist diese Kritik berechtigt?

Richard Schröder: Nein. Die Debatte ist eine Luftblase. Die Kommission meint den Alltag in der Diktatur, nicht irgendwelche nostalgischen Erinnerungen, wie ihr bösartigerweise unterstellt wird. Und für diesen Alltag gibt es in Berlin in der Tat keine Gedenkorte. Diese Orte sind entweder auf die Stasi oder die Mauer bezogen. Die DDR war aber mehr als Stasi und Mauer.

Sie sehen keine Gefahr, dass die DDR zu hübsch gemalt wird?

Gar nicht. Es geht darum, das normale unerfreuliche Leben in der Diktatur zu betrachten. All die Ambivalenzen, die Situationen von freiwilligem Zwang, denen man ausgesetzt war.

Zum Beispiel?

Wenn man nicht in der Partei war, musste man in die Gewerkschaft eintreten. Es gab, von der Schule angefangen, Unmengen von Formierungen, die verdient haben, dargestellt zu werden. Eine Diktatur besteht nicht aus Helden, Opfern und Opportunisten. Wer das glaubt, versteht nichts. Es gab viele Schattierungen. Die muss man kenntlich machen.

Konservative wie der Historiker Horst Möller kritisieren, dass die gesellschaftlichen Bindekräfte, die die DDR zusammenhielten, ausgebreitet werden, um sie zu legitimieren.

Ja, er behauptet sogar, dass schon die Erkenntnis, dass es diese gesellschaftliche Bindekräfte gab, eine Anerkennung der Diktatur sei – Unfug.

Was hielt die DDR denn zusammen?

Zum Beispiel die Idee, dass doch immerhin der Kapitalismus abgeschafft sei. Oder dass die Nationalsozialisten im Westen seien – was so ja nicht stimmte. Der DDR-Antifaschismus war verlogen, weil er an eine aggressive Haltung gegen Israel gekoppelt war. Aber solche Rechtfertigungen gab es oft. Es waren Lebenslügen – und Bindekräfte an die Verhältnisse. Selbstverständlich muss man solche Bindungen darstellen.

Worin besteht eigentlich der geschichtspolitische Konflikt?

Ich habe den Eindruck, dass dies im Wesentlichen eine Kontroverse zwischen Westdeutschen ist. Da geht es auch um wissenschaftlichen Status und Forschungsgelder.

Aber auch Vertreter von Opferverbänden sehen alte Kader auf dem Vormarsch und die DDR vor neuer Blüte. Deshalb wehren sie sich gegen jede Historisierung.

Die Idee, dass wir uns noch in der Systemauseinandersetzung befinden, halte ich für höchst übertrieben. Tatsache ist, dass es legale Verbände von Ex-Stasi-Leuten gibt. Man kann fragen, warum wir 1989 und 1990 die SED nicht zu einer kriminellen Organisation erklärt haben. Dann gäbe es diese Ex-Stasi-Organisationen heute nicht. Aber das ging damals nicht, weil doch auch SED-Mitglieder mitdemonstriert haben. Damit hätten wir die Oppositionsbewegung gespalten – und das wäre falsch gewesen. Wenn Ex-Stasi-Leute heute, wie geschehen, im Rudel auftreten, dann muss man ihnen entgegentreten. Aber man sollte das nicht überschätzen. Es gab in der Öffentlichkeit doch niemand, der gesagt hat: Naja, ein bisschen Recht haben die Stasi-Leute ja. Im Gegenteil.

Wo sehen Sie denn Lücken im kollektiven Gedächtnis in Bezug auf die DDR? Was fehlt?

Das ist in West und Ost sehr verschieden. Es ist ebenso schwierig wie nötig, Westdeutschen, die die Freiheit für selbstverständlich halten, klar zu machen, wie es sich in einer Diktatur lebt. Dafür kann ein Film wie „Das Leben der Anderen“ mehr leisten als eine Gedenkstätte. Im Osten hört man hingegen oft „Immerhin gab es damals keine Arbeitslosigkeit“. Das ist die Gesinnung eines Knechtes: Wozu brauche ich Freiheit, wenn ich wohl versorgt bin? Das ist ein Teil der Ostalgie, die es allerdings in allen ex-realsozialistischen Ländern gibt.

Glauben Sie, dass ein Mahnmal in Berlin für die Opfer der SED ein richtiges Symbol wäre, um dem entgegenzuwirken?

Ach, ich habe nichts dagegen. Aber ich habe den Eindruck, wenn es um Geschichte geht, fällt uns außer Opfergedenken nicht viel ein. Wie wäre es mal mit einem Denkmal für die deutsche Einheit? Auf was Fröhliches kommt in Deutschland niemand. Offenbar sind uns angenehme Tatsachen unangenehm. Die Einheit passt halt nicht in unser schwarz gestimmtes Erinnerungsbild. Scheinbar gilt: Der edle Deutsche zeigt sich darin, dass er vor allem ein Opfergedenker ist.

INTERVIEW: STEFAN REINECKE