Im Zentrum die Sammlung

Max Hollein startet seine Neukonzeption am Städel Museum in Frankfurt am Main

Der erste Blick gilt der auratisch angeleuchteten „Lucca-Madonna“ von Jan van Eyck, gemalt um 1437/8. Das Bild des Niederländers zählt zu den berühmtesten Werken des Frankfurter Städel Museums. Van Eyck stellt Maria mit leicht geöffnetem Haar dar, der Blick der jungen Mutter ruht auf dem Kind, dem sie die nackte Brust reicht. Ihr königlich mit Perlen verzierter roter Umhang umrahmt die Szenerie und bietet eine intime andächtige Betrachtung. Die Einzelpräsentation der „Lucca Madonna“ im Kabinett des Städels ist Teil der insgesamt vier Auftaktpräsentationen unter der neuen Direktion von Max Hollein.

Holleins Nominierung im April 2005 sowohl zum Direktor des Frankfurter Städel Museums als auch des Museums alter Plastik, Liebieghaus, machten den Chef der Schirn Kunsthalle mit 35 zum jüngsten und laut Spiegel Magazin zum „derzeit größten Star im Museumsbetrieb“. Holleins gebündelte Machtfülle führte zu skeptischen Reaktionen. Denn das Erfolgsmodell der Schirn, das im zügigen Rhythmus publikumswirksame Ausstellungen vorstellt, ist für ein Museum mit einer hochkarätigen Sammlung Alter Meister wenig geeignet. Die Befürchtung lag nahe, die Erforschung der Sammlung werde künftig unter den Dominanz von Wechselschauen leiden. Gerade mit Blick auf die fünf Jahrhunderte umfassende Sammlung stellt sich die Frage, wie qualifiziert ist Hollein, dessen professioneller Fokus auf der Gegenwartskunst liegt? „Man kann und muss nicht Experte für jede Epoche sein, dafür gibt es Sammlungskuratoren. Als Kunsthistoriker müssen Sie mir zugestehen, dass ich über ein analytisches Rüstzeug für die Gegenwarts- wie die historische Kunst verfüge“, antwortet er und sieht sich in erster Linie in der Funktion des Museumsmanagers. Die erstmals unter Hollein eröffneten Präsentationen wollen offenbar die Wissenschaftlichkeit des Hauses herausstellen. Entsprechend stellten die vier Sammlungsleiter des Städels Werke aus der hauseigenen Sammlung in den Mittelpunkt.

Mind-Maps breiten sich an den Wänden im Kabinett aus. Die mit Klammern lose befestigten Kopien und Notizen erwecken den Anschein, man könne hier hinter die Kulissen der Museumsarbeit blicken. Die Bild-Text-Kombination erläutert sehr didaktisch ikonografische Details und liefert umfassende Recherchen zu van Eycks Gemälde. Die Kunstgeschichte quasi zum Umblättern. Diese Annäherung ans historische Quellenmaterial versucht buchstäblich Berührungsängste abbauen. Ganz neu ist der Einblick in die Kenntnisse der Städelforschung nicht, die Präsentationsform schon.

Auch im angrenzenden Kuppelsaal stechen ausführliche Texttafeln an den Wänden ins Auge. Erstmals seit 150 Jahren führt die Ausstellung „Albrecht Dürer: Zwei Schwestern“ (kuratiert von Bodo Brinkmann) zwei Frauenporträts zusammen – beide malte Dürer im Jahr 1497. Das Pendant zum Städelbild ist in Besitz der Gemäldegalerie in Berlin. Im September soll dann ein legendärer zeitgenössischer Künstler den Kuppelsaal beziehen. Auch das Städel widmet also Martin Kippenberger eine weitere Präsentation. Was hätte der Rebell des Kunstbetriebs wohl gesagt, hätte er schon zu Lebzeiten gewusst, dass er einmal in Nachbarschaft zu den Historienbildern des Städels hängen würde? Auf dem Weg zu Dürers „Schwestern“ und ab September auch zu Kippenberger, muss man zunächst an den Monumentalbildern der Nazarener in der oberen Galerie vorbei.

Die Nazarenerkünstler Friedrich Overbeck und Philipp Veit bestimmten als Direktoren in den Gründungsjahren des Städels maßgeblich die Sammlungspolitik. Heute ist es nur noch schwer vorstellbar, dass ihre christlich geprägter Historienbilder um 1850 eine Debatte über die Richtung der damaligen Gegenwartskunst auslöste. Womöglich ist es jene rege Debatte, die sich Direktor Hollein just wünscht? Denn im Obergeschoss des Städel-Anbaus, wo die abstrakte Avantgarde bis zur Gegenwartskunst einen glücklichen Platz gefunden hat, macht bereits die erste „Konstellationen“-Präsentation Sammlungslücken deutlich. Es ist nun an Hollein, den Spagat zu meistern, die Gegenwartskunst sowohl um weitere Schlüsselwerke zu erweitern als auch die Alten Meister der Sammlung (etwa Lucas Cranach 2007) in wissenschaftlich fundierten Ausstellungen vorzustellen. HORTENSE PISANO

„Albrecht Dürer“ bis 17. 9., „Jan van Eyck“ bis 29. 10., „Konstellationen I“ bis 22. 10., „Streitbilder“, permanente Ausstellung, Städel Museum www.staedelmuseum.de