Koreanische Politisierung

„Etwas lernen und sich immer wieder darin üben …“ (Konfuzius)

Wegen des „Pflegenotstands“ in den Krankenhäusern wurden Mitte der 60er-Jahre rund 10.000 südkoreanische Krankenschwestern über einen offiziellen Seouler Schlepper namens Dr. Lee nach Deutschland geholt. Sie zahlten ihm dafür monatlich 80 Mark (plus einmalig 300 Mark „Kopfgeld“) ihres Gehalts, das etwa 350 Mark im Monat betrug. Außerdem unterstützten sie davon noch ihre meist armen Familien daheim.

1977 stieg die Arbeitslosigkeit in der BRD dann auf über eine Million, und man begann, Deutschen Arbeitsplätze auf Kosten der Ausländer zu verschaffen: Den Koreanern (neben den Krankenschwestern gab es noch 6.000 Bergarbeiter im Ruhrgebiet) wurden Aufenthaltsgenehmigungen verweigert. Sie organisierten daraufhin im März 1978 eine Großveranstaltung in Münster und eine Unterschriftenaktion gegen ihre heimliche Abschiebung. Das war der Beginn der bis heute bestehenden bundesweiten koreanischen Frauengruppe.

Und diese hat nun mit Unterstützung der staatlichen Korea Foundation ein Buch im Verlag Assoziation A herausgegeben, in dem zwanzig Krankenschwestern aus der Gruppe ihr Leben erzählen – vor allem den Prozess ihrer „Politisierung“ hier. Anfänglich, so berichten fast alle, haben sie oft und viel geweint: vor Heimweh, wegen des schrecklichen deutschen Essens, wegen der Degradierung zu Putzfrauen und wegen ihrer mangelnden Deutschkenntnisse. Aber viele haben dann sogar das Abitur nachgemacht, einen Deutschen geheiratet, Kinder hier bekommen, sich scheiden lassen – und einen anderen Beruf ergriffen, sich etwa mit einer Heilpraxis selbstständig gemacht.

Aufgewachsen zumeist in einem strengen, konfuzianisch geprägten Milieu, das die Söhn bevorzugt und für die Töchter nur eine angemessene Verheiratung vorsieht, waren die jungen Krankenschwestern hier doppelt und dreifach gefordert, sich einen eigenen Lebensweg zu erkämpfen. Der begann für einige schon gleich nach dem Treffen in Münster mit der Unterschriftenaktion gegen ihre Abschiebung. Kook-Nam berichtet: „Am Anfang habe ich noch gezittert vor lauter Aufregung, es kostete mich jedes Mal große Überwindung. Mit jeder erfolgreich gesammelten Unterschrift legte sich aber die Aufregung etwas. Später fand ich sogar Gefallen daran.“ Ihrem Ehemann war ihr politisches Engagement sogar schon bald fast zu viel. Wenn jedoch koreanische Männer auf ihren Sitzungen erschienen, „dann wurden wir eben stiller oder gingen in die Küche, um sie zu bewirten“, erinnert sich Hyun-Sook Song, auf die in ihrem Krankenhaus „das gesamte Pflegepersonal herabschaute, weil ich für die niederen Putzarbeiten zuständig war“. Sie riefen sie respektlos „Schwester Maria“.

Ihre Kollegin Kook-Nam Cho-Ruwwe meint, erst als sie hier Schwimmen und Fahrradfahren lernte sowie den Führerschein machte und nach Westberlin umzog, um auf dem Berlin-Kolleg das Abitur nachzuholen, sei sie selbstbewusster geworden: „Ich war flügge geworden“ – und die Atmosphäre in der antiautoritären Schule „beflügelte mich“.

Jung-Sook Park-Reinig meint, „es hat mir sehr viel geholfen, dass ich nicht – wie viele meiner Landmänninnen – ein ‚Heimchen‘ geworden bin“, dass „ich mir selbst etwas aufgebaut habe und nicht vom Geld meines Mannes abhängig bin“. Heute hat sie kein Heimweh mehr: „Egal, in welche Richtung ich fliege, ich komme immer zu Hause an.“ Auch Jung-Sun Rim Kober war zunächst „aktiv und unruhig“ hier, aber dann ließ die Ausländerfeindlichkeit ihrer Vorgesetzten sie depressiv werden. Schließlich wurde sie wegen Verdachts auf einen Hirntumor in eine Klinik eingewiesen. Eine Freundin sagte ihr energisch: „Du weißt genau, dass du nicht organisch, sondern seelisch krank bist. Willst du jetzt in die Klinik oder willst du kämpfen?“ Sie weinte heftig und erwiderte dann: „Ja, ich will kämpfen!“

So oder so ähnlich kämpften auch die anderen in dem Buch sich äußernden Koreanerinnen – was eine äußerst beeindruckende Sammlung von Selbstdarstellungen ergibt. Zumal da seit den Siebzigerjahren, als Peter Brückner und die Autoren eines Kursbuches sich mit der „Politisierung“ befassten, diesem Thema kaum noch etwas hinzugefügt wurde.

Wer die koreanischen Krankenschwestern damals in Westberlin erlebt hat, wo man sie als „mandeläugige Engel am Krankenbett“ verkitschte, der weiß, dass sie damals ganz besonders gedrückt und unterwürfig wirkten. Heute lassen sie sich dagegen in puncto Geradlinigkeit nicht mehr die Butter vom Brot nehmen. HELMUT HÖGE