Trainer der Spaltung

Oleg Blochin ist Trainer der ukrainischen Mannschaft – ehrenamtlich. Denn als Abgeordneter im Parlament darf er keiner zweiten offiziellen Tätigkeit nachgehen. Heute bestreitet die Ukraine ihr Auftaktspiel gegen Spanien (Leipzig, 15.00 Uhr)

Der Wiener Karl-Josef Zumbrunnen ist ein begeisterter Ukraine-Reisender. Von der Aufbruchstimmung nach der Loslösung der Republik vom sowjetischen Großreich ist er fasziniert. Immer wieder reist er in den jungen Staat. Auch als sich die politische Stimmung verändert, bleibt er der Ukraine treu und berichtet seinen Freunden in Briefen von seinen Erfahrungen.

„Unbewusst habe ich einen Aphorismus erfunden“, schreibt er Ende der 1990er-Jahre, „Polizeistaat – das ist, wenn die Polizei zwar allmächtig, gegen das Verbrechen aber machtlos ist.“ Zumbrunnen ist keine reale Person. Er ist einer der Protagonisten im Roman „Zwölf Ringe“ des ukrainischen Schriftstellers Juri Andruchowitsch. An ihm will der Autor vorführen, dass es letztlich unmöglich ist, das fremde Land gänzlich zu verstehen und dort wiederum als Fremder verstanden zu werden.

Als im Winter 2005 die orangene Revolution mit Viktor Juschtschenko einen neuen Hoffnungsträger an die Staatsspitze spülte, herrschte noch einmal Aufbruchstimmung. Im ersten Sommer, in dem es für Westler möglich war, ohne Visum in die Ukraine zu reisen, präsentierte sich eine stolze junge Nation. Besucher aus dem Westen bekamen Bilder gezeigt von den Demonstrationen in Kiew. Beinahe die gesamte Kleinbusflotte der westukrainischen Metropole Lemberg war im Korso nach Kiew gefahren, um vor allem junge Menschen in die Hauptstadt zu bringen, wo sie gegen die alten Machthaber und gegen den korrupten Staat erfolgreich demonstriert haben.

Auch Bohdan war in Kiew. Der junge Lemberger Arzt zeigt stolz seine Revolutionsfotos. Eine ukrainische Fahne um die Schultern gehängt steht er vor dem Podest, auf dem der Hoffnungsträger des vorvergangenen Winters gerade eine Rede hält.

Bohdan schwärmt von den Veränderungen. Alle Baugerüste, die in der verfallenden Altstadt von Lemberg zu sehen sind, seien erst nach der orangenen Revolution errichtet worden. Vorher sei das Land ausgeraubt worden. „Alles Diebe!“ Diese zwei Wörter bekam man im Sommer 2005 in Lemberg oft zu hören, wenn von der ukrainischen Obrigkeit die Rede war. Der Hass zielte vor allem auf die Abgeordneten des Parlaments.

Einer von ihnen war Oleg Blochin. Der ehemalige sowjetische Fußballnationalspieler sitzt bis heute für die Sozialistische Partei im Kiewer Parlament. Noch immer wird er von den Reformern deswegen heftig kritisiert. Die Politiker aus der vorrevolutionären Zeit gelten bei vielen als korrupt. Ein Antikorruptionsgesetz hätte Blochin beinahe den Job als Trainer der Nationalmannschaft gekostet. Kein Abgeordneter, heißt es in dem Regelwerk, dürfe einer zweiten offiziellen Tätigkeit nachgehen. Zu viele Deputierte hatten sich am Staat bereichert.

Blochin wollte Abgeordneter bleiben, legte kurzzeitig sein Traineramt nieder. Nachdem er erklärt hatte, er wolle ehrenamtlich Nationaltrainer sein, durfte er wieder für den Fußballverband arbeiten. Umstritten ist er bei den Reformern immer noch – auch weil er als Politiker die Westorientierung Juschtschenkos ablehnt und eine enge Anbindung der Ukraine an Moskau befürwortet.

Trotzdem ist Bohdan Anhänger der Nationalmannschaft, ist stolz darauf, dass sich die Ukraine für die Weltmeisterschaft qualifiziert hat. Er wäre gerne zur WM nach Deutschland gekommen. Doch das kann er sich nicht leisten. Als Assistenzarzt in einer Klinik verdient er etwa 50 Dollar im Monat.

Kostja dagegen ist schon da. Der 40-Jährige kommt aus Tscherkassy und führt in der Ukraine das, was man in Deutschland ein typisches Mittelstandsleben nennen würde. Seine fast erwachsene Tochter soll einmal Tennisprofi werden, sein fünfjähriger Sohn kommt bald in die Schule.

Dass seine Familie noch einmal Zuwachs bekommen hat, gilt als Ausweis von Wohlstand. Von Juschtschenko hält Kostja, der als Vertreter überall im Land Metallschrott zur Wiederaufarbeitung einkauft, nicht viel. „Wir werden sehen, was er erreicht“, sagte er. Blochin ist für ihn ein Idol, nicht nur weil er sich als Fan von Dynamo Kiew an dessen Glanzzeiten als Spieler erinnert. „Die Westukrainer haben gut reden“, sagt er, „da gibt es nichts, die ganze Industrie ist im Osten.“ Dort sind die Juschtschenko-Kritiker in der Mehrheit.

Die Ukraine ist ein gespaltenes Land, ein Land, in dem es viele Wahrheiten zu geben scheint. Auch wenn die Nationalmannschaft von allen verehrt wird, so wird sie kaum die große nationale Einigung auslösen können. Das liegt auch an der Person des Trainers: Oleg Blochin.

ANDREAS RÜTTENAUER