Schering nur zu Mondpreisen zu haben

Der Übernahmepoker um den Pharmakonzern Schering entscheidet sich heute. Die Darmstädter Firma Merck hat immer mehr Schering-Aktien gekauft – und treibt damit den Preis für die Bayer-Gruppe in die Höhe. Die Belegschaft muss die Zeche zahlen

VON RICHARD ROTHER

Für Berlin und Schering wollten sie nur das Beste, erläuterten die Vertreter des Darmstädter Familienunternehmens Merck wortreich, als sie im März im feinen Hotel Adlon ihre Übernahmepläne den Journalisten erklärten. Nachdem der Leverkusener Chemie- und Pharmakonzern Bayer die Merck-Offerte deutlich überbot, erweisen sich heute die Merck-Manager als das, was sie möglicherweise von Anfang an waren: Spekulanten. Heute um 24 Uhr endet die Frist für die Schering-Anleger, das Bayer-Angebot anzunehmen. Merck hatte sich in den vergangen Tagen mit immer mehr Schering-Aktien eingedeckt – vermutlich, um von Bayer Preis- oder weitere Zugeständnisse verlangen zu können. Die Spekulationsmasse ist die Weddinger Pharmafirma .

Denn Bayer muss bis heute Abend 75 Prozent der Schering-Aktien halten. Andernfalls scheitert die Übernahme, aus der die neue Bayertochter Bayer Schering Pharma mit Sitz in Berlin werden soll. Das wissen natürlich auch die Merck-Manager, die bislang mehr als 20 Prozent der Aktien zusammenkauften. Damit haben sie ein Pfund in der Hand, mit dem sie bis heute Abend wuchern können. Entweder, Bayer legt auf sein Angebot in Höhe von 86 Euro je Schering-Aktie noch etwas drauf. Oder aber Bayer bietet den Merck-Managern Teile des gewinnträchtigen Schering-Geschäfts an – etwa Patente, neu zu entwickelnde Medikamente oder ganze Sparten. Gestern schloss Bayer bereits nicht mehr aus, auch einen höheren Preis, als bislang geboten, für Schering zu zahlen.

Verlierer dieses spekulativen Übernahmepokers ist in jedem Fall Schering. Im schlimmsten Fall würde Schering nicht nur von den Leverkusenern geschluckt, sondern zerlegt und teilweise verkauft. Im – nach Lage der Dinge – weniger schlimmen Fall kostet Bayer die Schering-Übernahme nur mehr Geld. Geld, das auf den Konten der Merck-Besitzer landet. Auch dies wird in Berlin zu spüren sein, denn Bayer muss die Übernahme refinanzieren – bislang soll sie 16,5 Milliarden Euro kosten. Die Folge werden weitere Einsparungen sein, auch bei den Personalkosten. Schon jetzt steht jede zehnte Stelle bei Schering durch die Übernahme zur Disposition. Sollte die Übernahme noch teurer werden, dürften weitere hinzukommen.

Bei Schering, dem einzigen Dax-Unternehmen Berlins, herrscht schlechte Stimmung. Die Hängepartie zerre an den Nerven der Beschäftigten, „die Belastung nimmt zu“, sagt Schering-Betriebsratschef Norbert Deutschmann. Die Beschäftigten fühlten sich wie Schachfiguren.

„Der Schering-Übernahme-Poker zwischen Bayer und Merck droht für den Standort Berlin zur Tragödie zu werden“, befürchtet auch die Grünen-Spitzenkandidatin für die Abgeordnetenhauswahl, Franziska Eichstädt-Bohlig. Deutschland brauche Regeln, um feindliche Übernahmen und Zerschlagungen durch Finanztransaktionen einzudämmen. Da weder die rot-grüne noch die schwarz-rote Bundesregierung in diesem Sinne vorangekommen sind, bleibt Eichstädt-Bohlig nur ein moralischer Appell: „Ich appelliere an die Firma Merck ebenso wie an die Schering-Aktionäre, nicht nur die Steigerung der Kapitalrendite im Auge zu haben, sondern auch die eigene gesellschaftliche Verantwortung für Unternehmenskultur, Arbeitsplätze und Standortsicherheit.“

Wie attraktiv Schering für Investoren ist, zeigen die Zahlen des ersten Quartals dieses Jahres. In den ersten drei Monaten 2006 stieg der Gewinn im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um mehr als 20 Prozent auf 174 Millionen Euro. Der Umsatz kletterte um 16 Prozent auf 1,4 Milliarden Euro.