Im Dienst von Schering & Co

VON MELANIE ZERAHN

Wenn Ursula Goldmann-Posch bei „Christiansen“ sitzt, ihren Körper engagiert nach vorne beugt, die Brille zurechtrückt und ihre Stirn kräuselt, dann hat das vor allen Dingen eines: Wirkung. Goldmann-Posch war krank, sehr krank. Der Brustkrebs veränderte nicht nur ihr Leben, sondern auch ihre Berufung: Die heute 57-Jährige gründete 1999 die Selbsthilfeorganisation „mamazone“. Vor dem Hintergrund ihrer „persönlichen Erfahrungen“ postuliert sie mit „unabhängiger“ Stimme die Rechte der Patienten.

Doch was so wirkungsvoll daherkommt, ist gesponsert von der Pharmaindustrie. 60.000 Euro erhielt „mamazone“ dieses Jahr als Spende von Hoffmann-La Roche – ein Drittel mehr als noch im vergangenen Jahr. Grund für den Anstieg sei eine Hotline, die „mamazone“ sonst nicht finanzieren könne, begründet ein Sprecher von Roche auf Nachfrage der taz die großzügige Summe und versichert gleichzeitig: „Die Spende ist nicht zweckgebunden.“

Der Schulterschluss zwischen Pharmaindustrie und Selbsthilfeorganisation ist eng und funktioniert gut. Langfristiges Ziel: ein „überregional aktives Netzwerk zu bilden“, formulierte eine Produktmanagerin von Roche bereits 2003. Für den erfahrenen Pharma-Experten Peter Schönhöfer ein unerträglicher Widerspruch: „Goldmann-Posch agiert nicht wie eine Vertreterin ihrer Patienten, sondern wie eine Vertreterin der Pharmaindustrie.“ Der Mitherausgeber des unabhängigen arznei-telegramms wurde seit 1970 dreißigmal verklagt, weil er auf die Schädlichkeit einzelner Wirkstoffe und Präparate aufmerksam gemacht hat.

Man könnte Mitleid haben mit dieser Frau: betroffen von jener Krankheit, die immer häufiger vorkommt und zum modernen Schreckgespenst geworden ist. Auf die Diagnose folgt Verzweiflung und nicht selten die Angst vor dem Tod. Man könnte Mitleid haben – und man hat. Das Gefühl ist kalkuliert: von Imageberatern, Healthcare- und Marketing-Experten. Längst hat die Pharmaindustrie erkannt, dass Glaubwürdigkeit ihr Zugpferd ist. „Die Pharmafirmen haben ein Interesse daran, ihre Beziehungen zur Selbsthilfe zu pflegen“, sagt Martin Flörkemeier von der PR-Agentur Edelman. „Der Patient holt seine Informationen längst nicht mehr nur vom Arzt, sondern auch von anderen Betroffenen.“ Der neue Trend in der Beratung heißt „Peer-to-Peer-Kommunikation“, eine „Kommunikation unter Gleichen“ statt klassischer „Top-down-Pressearbeit“, erklärt der Healthcare-Profi aus Frankfurt. Im Mittelpunkt stehen der Patient und die direkte Ansprache. Dabei setzt das Marketing auf Mundpropaganda: „Menschen wie du und ich“, neutrale Fürsprecher abseits offizieller Pressestatements, erzeugen im Betroffenheitspaket ein gutes Gefühl.

Die Agentur macht vor, wie es geht. Ihre Epilepsie-Initiative „Gewitterleben“ für das Informationszentrum Epilepsie gewann 2003 den Preis für die beste deutsche PR-Kampagne im Bereich Lobbying. Um die nötigen finanziellen Mittel aufzutreiben, halfen renommierte Geldgeber. Die Liste der Sponsoren liest sich wie das Who is who der Pharmabranche: Desitin, GlaxoSmithKline, Janssen-Cilag, Novartis, Pfizer, Sanofi-Synthelabo und UCB Pharma. Ebenfalls mit von der Partie ist Cyberonics, Hersteller von Schrittmachern für eine Epilepsie-Therapie.

Zielgruppe chronisch Kranke

In der Hoffnung auf Hilfe, kompetente Beratung oder Erfahrungsaustausch suchen Kranke Rat bei Patientenverbänden oder Selbsthilfegruppen. Allein in Deutschland existieren mehr als 100.000 Initiativen mit über drei Millionen Mitgliedern. Die Zielgruppe der Selbsthilfevereine und der Arzneimittelhersteller hat dabei eines gemeinsam: Oft sind es chronisch Kranke, die den Umgang mit Diabetes, Asthma oder Krebs lernen müssen und sich deshalb an Selbsthilfegruppen wenden. Zugleich sind es meist lebenslange Erkrankungen wie Multiple Sklerose, die der Pharmaindustrie zuverlässige Einnahmequellen sichern. Bei den symbiotischen Beziehungen handele es sich „nicht um Einzelfälle“, sagt Pharmakritiker Schönhöfer. Unzählige Selbsthilfegruppen hängen an der Pharma-Kanüle, die Finanzspritzen im Sponsoring erreichen Spitzenbeträge. Über Werbeagenturen wie Pawlis reichen die Kreuzverbindungen bis zur Deutschen Rheuma-Liga Nordrhein-Westfalen.

„Immer häufiger fragen Patienten nach Behandlungsoptionen und wirken mit bei der Therapieentscheidung. Für das Marketing macht sie das zu einer immer wichtigeren Zielgruppe, die es mittels Publikums-PR gezielt anzusprechen gilt“, schreibt eine PR-Agentur in ihrem Newsletter. Für Kunden wie Novartis, Schering oder Boehringer Ingelheim eine lohnende Investition, denn die Patienteninitiativen garantieren Werbung ohne Streuverluste. Im Bereich Prostatakrebs organisierten die PR-Macher bundesweit Veranstaltungen, die „wertvolle Patientenkontakte“ ergaben, und gründeten an jedem Ort „auch gleich eine neue Selbsthilfegruppe“. Wichtig sei aus Sicht der Strategen nur, „glaubwürdig“ Wissen zu vermitteln. Risiken und Nebenwirkungen trägt der Patient.

Auf dem Sockel der Glaubhaftigkeit schraubt sich die Reputation der Pharmaindustrie nach oben. Sie verbirgt ihre Interessen in der Selbsthilfe wie in einem Trojanischen Pferd, sodass sie in der undurchsichtigen, fast unkontrollierten Welt verzweifelter Patienten unerkannt bleiben. „Das Image der Pharmaindustrie bewegt sich zwischen Atomkraft- und Waffenindustrie. Von daher tut die Pharmaindustrie gut daran, den Absender zu verschleiern“, sagt Dirk Krischenowski, Pharma-Marketing-Experte in der Sendung „Panorama“. Einer Betroffenen ein Recht abzuschlagen fällt schwer. Wer schüttelt nicht mit dem Kopf, wenn eine Schwerkranke anprangert, dass die Krankenkassen das Medikament nicht zulassen, nur weil es zu teuer ist?

Fehlende finanzielle Mittel sind oftmals das Argument der Selbsthilfeorganisationen für die Verwendung von Pharmaspenden. Mangelnde Liquidität lässt den oftmals kleinen Vereinen wenig finanziellen Spielraum. „Die Selbsthilfeförderung der gesetzlichen Krankenkassen reicht nicht einmal für die Portokasse“, beklagt „mamazone“ auf der Webseite. Ganz zu schweigen von Kampagnen wie dem „mamazone-Mobil“, einem Info-Auto zum Thema Brustkrebs. Die Organisation verteidigt in einem öffentlichen Grundsatzpapier den Geldzufluss aus der Industrie: „Natürlich haben Pharmaunternehmen in erster Linie ein legitimes wirtschaftliches Interesse. Aber nicht nur: Die Hilfe von Pharmaunternehmen ermöglicht ehrenamtlich arbeitenden Patienten mehr Entscheidungsfreiräume, mehr Kreativität und mehr Professionalität und ist auf diese Weise auch ein Beitrag für eine bessere Kultur der Patientenarbeit.“ Pharma-Experte Schönhöfer hat hierfür kein Verständnis: „Wenn man unter der Flagge der Selbsthilfe segelt, dann ist das eine unzulässige Verquickung von Interessen.“

Der Patient soll mitentscheiden

Dass der Patient wichtig ist und in Entscheidungen mit einbezogen werden muss, erkannte auch die Politik – nicht aus werbewirksamen, sondern aus politischen Gründen. Mit der Gesundheitsreform 2004 schuf die rot-grüne Bundesregierung das neue Amt der Patientenbeauftragten und schrieb damit die Bürgerbeteiligung für das Gesundheitswesen fest. Die „Patientensouveränität“ und „individuelle Mitbestimmung“ sollten gestärkt werden, die „Interessenvertretung“ der Bürger sichergestellt. Die maßgeblichen Organisationen erhielten Beteiligungsrechte in den Gremien der gesetzlichen Krankenversicherung: Am Verhandlungstisch im Gemeinsamen Bundesausschuss sitzen heute Patientenvertreter und haben zumindest ein Anhörungsrecht. Sie sind Abgesandte des Deutschen Behindertenrats, der Bundesarbeitsgemeinschaft der PatientInnenstellen, der Deutschen Arbeitsgemeinschaft Selbsthilfegruppen und des Verbraucherzentrale Bundesverbands. Das Gremium stellt wichtige Weichen: zum Beispiel, ob neue Therapien oder Arzneimittel geeignet sind und von der Krankenkasse bezahlt werden sollen. Weichenstellungen, die auch die Selbsthilfe-Vereine beschäftigen – und die Pharmaindustrie.

Können Patientenvertreter in diesem Dickicht an Finanzinteressen, Spenden und PR das Allgemeininteresse noch unabhängig wahrnehmen? Stefan Etgeton von der Verbraucherzentrale Bundesverband sieht „zumindest bei den Dachverbänden inzwischen ein hohes Problembewusstsein“. Um sich von ihren Gönnern zu distanzieren, entwickelten die Verantwortlichen eine Selbstverpflichtungserklärung, mit der eine klare Trennung zwischen Pharmaindustrie und Selbsthilfe erreicht werden soll.

Allerdings existiert die Erklärung so manches Mal nur auf dem Papier. „Je weiter nach unten man geht, desto schwieriger wird es zu kontrollieren, ob die Selbstverpflichtungserklärungen auch tatsächlich eingehalten werden“, stellt Etgeton fest. Zu verführerisch sind Geld und Angebot: „Wenn ein Pharmareferent XY kommt und sagt, wir machen eine Veranstaltung, dann ist es für kleine Gruppen, die wenig Budget haben, schwer, das abzulehnen“, erklärt der Gesundheitsexperte.

Diener zweier Herren

Auch allgemeine Patientenorganisationen können sich dem Einfluss der Pharmainteressen nicht entziehen. „In den Gremien dieser Organisationen kann man Leute finden, die gleichzeitig im Auftrag von Arzneimitteln- und Medizinprodukteherstellern oder als Ärztevertreter tätig sind“, erklärt Etgeton. So forderte Professor Klaus-Dieter Kossow früher als Hausärztepräsident noch die Vermarktung von Produkten für die Industrie. Heute ist er als Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Versicherte und Patienten e.V. ein Sprachrohr der Patienten. Der Pharma-Kritiker Schönhöfer ärgert sich: „Früher war er oberster Leistungserbringer, und heute spricht er im Namen der Patienten. Das ist absurd.“ Im Mai hat Kossow seinen Rücktritt vom Vorsitz angekündigt.

Nach außen wirken Patientenvertreter glaubwürdig und neutral, für die Öffentlichkeit bleiben die Beziehungen und Abhängigkeiten undurchsichtig. Schönhöfer fordert deshalb: „Wenn ein Gremium eine Empfehlung abgibt, muss jeder seine Beziehungen offen legen.“ Etgeton von der Verbraucherzentrale sieht das ähnlich: „Wir planen, dass auch die Patientenvertreter im Gemeinsamen Bundesausschuss eine Konflikterklärung abgeben müssen. Darin wird abgefragt, ob die Vertreter in irgendeiner Art befangen sind.“ Die Regelung soll noch in diesem Halbjahr verbindlich eingeführt werden.

Ganz am Ende bei „Christiansen“, als schon die Abschlussmelodie läuft, fordert Goldmann-Posch die Zulassung von Trastuzumab, einem umstrittenen Präparat von Roche zur Krebsbehandlung. Markenname des Medikaments ist Herceptin. Die Forderung von Goldmann-Posch klingt glaubhaft, fast verzweifelt. Auch an diesem Abend wird Roche mit seiner Protagonistin zufrieden sein.