Mehr Arbeitslose durch Arbeitspflicht

Unions-Vorstoß zu „Arbeitspflicht“ für Erwerbslose in der Kritik: Wo es sie gab, ruinierte sie das Handwerk vor Ort

BERLIN taz ■ Die Union ruderte gestern wieder zurück. „Der Vorstoß war nicht abgestimmt“, hieß es in Unionskreisen. Der CSU-Arbeitsmarktexperte Stefan Müller hatte die Einführung von täglicher verpflichtender gemeinnütziger Arbeit für Langzeiterwerbslose gefordert. SPD-Chef Kurt Beck hatte zurückgepoltert, „von morgendlichen Appellen und einer Art Arbeitsdienst“ halte er gar nichts. Auch die Grünen und die Linke kritisierten Müllers Idee, die FDP bezeichnete sie gar als „Ablenkungsmanöver“. Wieso wird die Idee der Arbeitspflicht immer wieder aufgewärmt?

Müllers Vorschlag, dass sich Erwerbslose allmorgendlich zum „Gemeinschaftsdienst“ melden sollen, kam zwar drastisch daher. Dennoch wird in Unionskreisen längst darüber nachgedacht, wie man die Bedingungen für Hartz-IV-Empfänger verschärfen könnte. So hatte Unionsfraktionschef Volker Kauder erst vor einigen Tagen in einem Interview erklärt, Arbeitslose müssten auch eine Gegenleistung bringen. Und dabei sehe er „nicht in jedem Fall“ die Notwendigkeit, auch 1 Euro zusätzlich pro Arbeitsstunde zu zahlen.

Dabei ist die Idee, Empfänger von Arbeitslosengeld II grundsätzlich zu gemeinnütziger Tätigkeit zu verpflichten, schon öfter gescheitert. So wurden beispielsweise in Leipzig Ende der 90er-Jahre Leute, die einen Antrag auf Sozialhilfe stellten, automatisch zu einem Arbeitsdienst verpflichtet. Die Zahl der Antragsteller sank dadurch dramatisch – allerdings nur vorübergehend. Gleichzeitig ruinierten die vielen Billigkräfte in Grünanlagen und Gebäudesanierung das mittelständische Handwerk vor Ort. Das „Leipziger Modell“ wurde eingestellt.

Auch Hessens CDU-Ministerpräsident Roland Koch schlug in der Vergangenheit vor, Erwerbsfähige grundsätzlich in gemeinnützige Dienste zu stellen. „Doch flächendeckend für 2,9 Millionen Empfänger von Arbeitslosengeld II ließe sich so etwas gar nicht organisieren“, sagt der sozialpolitische Sprecher der Grünen, Markus Kurth.

Nach Kurths Rechnungen wären allein 4 Milliarden Euro an zusätzlichen Kosten fällig für Organisation, Verwaltung und den Zusatzlohn, wenn man alle Empfänger von Arbeitslosengeld II zu 1-Euro-Jobs zwangsverpflichten würde. Diese subventionierten Jobber würden zudem Beschäftigte auf dem ersten Arbeitsmarkt verdrängen, denn das Feld an zusätzlichen gemeinnützigen Tätigkeiten, etwa als GesellschafterIn oder in der Einkaufshilfe für alte Menschen, ist begrenzt und liegt auch nicht jedem Arbeitslosen.

Trotzdem beschäftigt der Gedanke einer „Arbeitspflicht“ oder gemeinnützigen „Gegenleistung“ für das Arbeitslosengeld II immer wieder Politik und öffentliche Debatte – und zwar nicht nur Unionspolitiker aus der zweiten Reihe. Gerne wird dabei auf das Beispiel Großbritannien verwiesen, wo Antragssteller auf „jobseeker allowance“ sofort Bewerbungsanstrengungen nachweisen müssen oder in Jobmaßnahmen vermittelt werden. In Großbritannien sind dies allerdings vor allem Jobs auf dem ersten Arbeitsmarkt – und davon gibt es in Deutschland nun mal zu wenig. BARBARA DRIBBUSCH