zwischen den rillen
: Altersweisheit ist Sex

Mit „Rather Ripped“ legt die New Yorker Band Sonic Youth ihr entspanntestes, ruhigstes und bestes Album seit langem vor

Wenn eine Band bemerkt, dass sie mittlerweile 25 Jahre Musik macht, feiert sie das in der Regel ausgiebig. Es gibt dann Jubiläumstouren, Best-of-Zusammenstellungen, Live-DVDs und andere Kinkerlitzchen, die oft unfreiwillig dokumentieren, dass diese Band ihre Zeit gehabt hat. Wenn eine Band wie Sonic Youth bemerkt, dass sie mittlerweile 25 Jahre Musik macht, veröffentlicht sie einfach ein neues Album, das beweist, dass sie ihre Zeit immer noch dauert. Man könnte auch sagen, „Rather Ripped“ ist das beste Sonic-Youth-Album seit langem, ohne dass die vergangenen drei, vier Alben schlecht gewesen wären. Nur waren die eben state of the art, bewusst entrückt vom sonstigen Pop- und Rockgeschehen, mit langen, ausschweifenden, weniger dissonanten als monoton vor sich hin schreddernden Instrumentalpassagen in vielen Songs, die eben keine Songs im Pop-Sinn waren, sondern Entwürfe dazu, Soundscapes.

„Rather Ripped“ ist das etwas andere Sonic-Youth-Album geworden, vielleicht das ausgeschlafenste, entspannteste, ruhigste und in sich geschlossenste Album, das Sonic Youth je gemacht haben. Man ist geneigt, von einem Hit-Album zu sprechen, so als hätten sich die vier aus dem New Yorker East Village, Thurston Moore, Steve Shelley, Lee Ranaldo und Kim Gordon, entschlossen, Melodien, Beschwingtheit, Schönheit und songdienliche Verzierungen endlich einmal à la longue zuzulassen und nicht, wie üblich, in höchstens zwei, drei Stücken (die sich ihre Major-Plattenfirma dann als Single-Release für die Underground-Radios aussuchte).

Das Cover spricht zunächst eine andere Sprache. Gestaltet von dem amerikanischen Künstler Christopher Wool, sieht es aus wie ein ordentliches Punk-Cover und hätte besser in die Frühzeit der Band gepasst, als Sonic Youth mit Alben wie „Daydream Nation“ oder „Evol“ bewiesen, wie Punk eben auch klingen kann: lärmig, dissonant, schwer, komplex. Es war immer eine Strategie von Sonic Youth, zu vermitteln, dass Rock, und sei es nun Noise-Rock, Punkrock oder MTV-Rock, immer auch Kunst sein kann, ja muss, selbst wenn sich die Kunst am Ende nur in der Cover-Art ausdrückt. Ordentliches Blendwerk gehört dazu, gehört zur Kunst, zu Pop, die besten und diskursivsten Popversteher waren und sind Sonic Youth sowieso.

Man denkt jedenfalls nur zu gern an die von Gerhard Richter, Mike Kelley oder Raymond Pettibon gestalteten Sonic-Youth-Albumcover aus den späten Achtziger- und frühen Neunzigerjahren. Der Sound musste denen gar nicht entsprechen – Sonic Youth wussten für ihre Hauptmarke, also „Sonic Youth“, dass man es mit der Kunst und dem Avantgardesein nie zu weit treiben darf. Das taten insbesondere die drei männlichen Mitglieder der Band lieber in ihren zahllosen Postrock-Free-Jazz-Seitenprojekten. So punkig-unruhig das Cover von „Rather Ripped“, so verhalten-dramatisch und niemand etwas mehr beweisen müssend die Songs. Sie alle sind trotzdem unverkennbar Sonic Youth. Solche Bassläufe, solche Gitarrenläufe, hell, dramatisch, plinkerplinkerplinker, auch verzerrt, die hört man nur hier, getragen weiterhin von einer dezenten Achtzigerjahre-Underground-Melancholie. Und Kim Gordon singt, im Wechsel mit Moore und Ranaldo, weiterhin so, als wollte sie selbst im gestandenen Alter noch die Blaupause für alle Riot-Girls dieser Welt abgeben.

Schwer, ein oder zwei Glanzpunkte herauszuheben, das sind die Stücke fast alle. Selbst die beiden wirklich langen, über sechs Minuten langen Songs, „Turquoise Boy“ und „Pink Steam“, sind keine Demonstrationen in Sachen instrumenteller Uferlosigkeit, tragen kein Gran Zerstörungslust in sich, sondern erfreuen sich an den einmal gefundenen und erdachten Themen. Stillgestanden sind Sonic Youth selten, nur der Zwang, das nicht zu tun, auch der Zwang, sich konsolidieren zu müssen nach ihrer Rockstarphase Mitte der Neunzigerjahre, der hatte zuweilen etwas Krampfiges. Jetzt heißt es: In der Ruhe liegt der Sex. Und in der Weisheit des Alters sowieso. GERRIT BARTELS

Sonic Youth: „Rather Ripped“ (Geffen/Universal)