Todesart eines Liebenden

Auf Liebe und Tod: Ludwig Fels’ neuer Roman „Reise zum Mittelpunkt des Herzens“

Eine Reise lässt sich auch (nur) denkend unternehmen – mit dem Finger im Atlas und dem heimischen Wind um die Ohren. Vielleicht trüge sie sich wie vorgestellt zu, würde sie denn wirklich unternommen werden, vielleicht aber auch ganz anders. Die letzte Reise jedenfalls übersteigt die menschliche Vorstellungskraft – und wird als Denkvorgang doch immer wieder begangen. Auch in der Kunst. Auch in der Literatur, so wie in Ludwig Fels’ neuem Roman „Reise zum Mittelpunkt des Herzens“.

Sie gehören zu den Grenzgängen der Literatur, diese „letzten Tage“, diese Stunden der Körper- und Seelenschmerzen, der Hoffnungen, Bitterkeiten, des Verlöschens und, im Glücksfall, des Friedens. Sie sind Arbeitsmaterial voller Gefahren, denn am Wegrand steht der Überschwang bereit, das Pathos – der Kitsch. Ludwig Fels weicht der Bedrohung durch den engen Handlungsraum und die knappe Sprache aus, die, je näher er ans eigentliche Geschehen herangeht, desto verhaltener, ja verschlossener ausfällt. Und die so dem letztlich unzugänglichen Sterbeakt gerecht wird.

Die „Reise zum Mittelpunkt des Herzens“ ist ein Drei-Personen-Drama. Tom, der an einem Gehirntumor leidet, wird von Linda, seiner Frau, vom Spital nach Hause gebracht, um zu sterben. Zusammen mit Jack, dem Fotografen und Freund beider, wollen sie noch einmal zur Insel fahren, wo die drei glückliche Stunden verbracht haben. Dort wollen sie noch einmal miteinander essen: Brot und Wein und Käse, wie früher.

Jack will die letzte gemeinsame Zeit festhalten, will Fotos machen vom nochmaligen Glück. Aber der Aufenthalt misslingt. Für Tom geraten diese letzten, brüchigen Stunden des „gerade noch“ zwischen Leben und Tod zur zusätzlichen Versehrung. Dank einer umgeschnallten Pumpe, aus der er sich selbst dosierte Opiate zuführen kann, ist es nicht der Körper, der ihn quält, es ist die Liebe zu Linda, es ist die Wehmut über den Verlust dieser Liebe – es ist die vorgreifend obsessive Eifersucht auf Jack, den er nach seinem Tod als Lindas Geliebten wähnt. „Was, wenn die Liebe alles nur noch schlimmer macht?“ Diese Frage, die zur bitteren Realität geworden ist, kulminiert in Toms Einsicht, dass nicht schrecklich sei, dass jeder sterben müsse, sondern nicht jeder zur gleichen Zeit. Seine Klage ist eine Anklage an die Liebe, ein Lamento über die Ungerechtigkeit, die sie entfesselt.

Tom verschanzt seine Liebes- und Todesangst hinter zynischen Sätzen. Doch bricht in seinen Gesten beides immer wieder hervor. Dann etwa, wenn er einschlafend Lindas Fuß festhält. Damit sie nicht weglaufen kann, während er wegsackt. Obschon nach der Rückkehr von der Insel schon ein Schatten über seinem Bett gleitet. Obschon die Läufe des Tiers, das Jack während des Ausflugs angefahren hatte, sterbend so gezuckt hatten wie seine Beine, als er reglos auf der Wiese lag.

Ohne Pathos ist er nicht geschrieben, der neue Roman von Ludwig Fels. Auch nicht ohne vielfache Todessymbolik. Aber mit Fingerspitzengefühl. Auch dort, wo drastische Schilderungen an ihre Grenzen stoßen und wo man als Leser durchatmet. Ludwig Fels, 1946 in Treuchtlingen geboren, erzählt ohne ein Wort zu viel und ohne ein Wort zu wenig von der Todesart eines Liebenden. Von jener Reise, die man antritt im unbegrenzt offenen Zustand. Für alles Schreckliche. Und vielleicht für vieles mehr. SILVIA HESS

Ludwig Fels: „Reise zum Mittelpunkt des Herzens“. Jung und Jung Verlag, Salzburg 2006, 159 Seiten, 17,80 Euro