Schönheit der Gewalt

Thomas Hecken analysiert die „Rhetorik der Intensität“ von den Futuristen bis zur RAF. Dabei bietet er eine hervorragende Einführung in das Thema. Allerdings hätte man sich bei manchem Aspekt eine ausführlichere Darstellung gewünscht

VON ROBERT MISIK

Ist ein gelungener Terrorakt ein Kunstwerk – als Einbruch des Ungewohnten ins Leben? Ist er womöglich sogar der ultimative Traum aller bisherigen Avantgarden? Das wäre wohl übertrieben, aber es spannen sich zarte Fäden von der Rhetorik der Intensität bei den Avantgarden zur Rhetorik der Verschärfung, wie sie Terrorgruppen eigen ist. Bisweilen gibt es auch individuelle Kontinuitäten. Grund genug für den Philologen Thomas Hecken, in einer Studie über „Avantgarde und Terrorismus“ den Jargon der Revolte „von den Futuristen bis zur RAF“ zu untersuchen.

Es ist ein ergiebiges Thema. Mit dem italienischen Futurismus brechen Ende des 19. Jh. die Liebe zu Gefahr und Risiko, das Loblied auf die Geschwindigkeit, das Fasziniertsein von Maschine und Maschinengewehr und die Rede von der „Schönheit der Gewalt“ in die künstlerischen Diskurse ein.

So etwa bei den Futuristen, allen voran Filippo Tommaso Marinetti. Sie schreckten nicht vor einem Tête-à-Tête mit den Faschisten zurück, doch eigentlich ging es ihnen um einen Angriff auf die „bürgerliche Ordnung“ mit ihren Konventionen und Gesetzen. „Zerstörung“, „Tabula rasa“, das sind die Schlüsselvokabeln, weit über die Kerne der Avantgarden hinaus.

Es geht weiter in diesem Ton von Dada, Spielarten des Expressionismus bis zum Situationismus. Das Programm lautet immer: „Nun ist es Zeit, dass die Kunst ins Leben eindringt“ – die Wendung der russischen Futuristen aus dem Jahr 1913 wurde gewissermaßen Standard. Auch viele Spielarten von Habitus waren möglich: vom Dandytum bis zur Modellierung am Soldatischen. Eine gerade Linie kann nicht gezeichnet werden, eher schon eine Kontinuität von Themen und Jargon. Auch die Forderung nach „Vereinigung von Kunst und Leben“ kann verschiedene, durchaus schroff diametral entgegengesetzte Resultate haben: Zerstörungspathos ebenso wie das andere Extrem, totales Lebensdesign von „Neuer Mensch“ bis Werbung. Mal wird die Massenkreativität beschworen, mal die revolutionäre Elite („Vorhut“).

Heckens These ist schlicht und dennoch nicht plump: Diese Rhetorik macht verständlich, „wieso viele Avantgardisten Sympathien für den Akt terroristischer Gewalt erkennen lassen. Er steht für eine plötzliche Unterbrechung der gewohnten Ordnung, eine jähe Unterbrechung, deren Überraschungsmoment für eine nachhaltige Änderung sorgen soll.“ Hecken versucht geistige Parallelen, auch einen gewissen exzentrischen Habitus zu beschreiben, ohne der Versuchung zu erliegen, in Bild-Manier den „kritischen Künstlern“ die Verantwortung für Terrorakte zuzuweisen.

Dabei sind die Übergänge fließend. Avantgardegruppen sehen sich als „subversiv“, und mittels des Subversions-Postulats entstehen politische Gruppen mit noch deutlichen künstlerischen Spuren: die „Subversive Aktion“ in Deutschland, „Provos“ in Holland, die Vorläufer der „Weathermen“ in den USA. Die „unmittelbare Kunst des Aufruhrs“ wird beschworen – und der Schwerpunkt der Aktivität liegt nicht mehr auf der Kunst. Eine gute Portion Vitalismus, wie er dem Kunstfeld eigen ist, wird mit Politik verrührt, eine gute Prise Selbsttherapie-Jargon inklusive. „Wandelt euren Hass in Energie“, heißt es in der deutschen Szene, „Blow it up or burn it down“ in der amerikanischen.

Was anfangs ein Kunstprogramm war – mit dem spezialisierten Künstlertum zu brechen –, wird ein lebenspraktischer Imperativ. Der Weg führt nicht automatisch zu RAF und 2. Juni, aber er kann dahin führen. Die Pfade aus dem Kunstfeld in die Guerilla beschreibt Thomas Hecken kenntnisreich. Nicht dass das meiste völlig unbekannt ist. Nicht dass der Autor in dem schmalen Band allzu viele erstaunliche, unbekannte Details auszubreiten vermöchte. Doch: Hecken bietet einen guten Abriss des Themas und einen hervorragenden Einstieg für die, die sich damit eingehender beschäftigen möchten. Sosehr man allerdings vielen Autoren mehr Mut zur Kürze wünschen möchte, in diesem Fall wäre mehr tatsächlich auch mehr gewesen.

Thomas Hecken: „Avantgarde und Terrorismus. Rhetorik der Intensität und Programme der Revolte von den Futuristen bis zur RAF“. Transcript, Bielefeld 2006, 160 Seiten, 16,80 Euro