Neue Tricks der Atomwirtschaft

Die Energiekonzerne wollen den Atomausstieg unterlaufen. Dazu möchten sie Restlaufzeiten so zwischen Kraftwerken verschieben, dass bis 2010 kein AKW abgeschaltet werden muss. Das Bundesumweltministerium hält das nicht für rechtens

VON BERNWARD JANZING

Die Atomlobby kann es nicht lassen. Sie will wieder einmal den Atomausstieg zu Fall zu bringen. Die Financial Times Deutschland berichtet: Die Energiekonzerne hoffen mittels eines Ringtausches von Atomstrom-Kontingenten, dass die Reaktoren länger am Netz bleiben können. „Im Moment rechnen wir alle Varianten durch“, zitiert das Blatt einen ungenannten Betreiber.

Eine Schlüsselrolle spielt dabei das Kraftwerk Mülheim-Kärlich. Der Reaktor hat nämlich laut Atomgesetz 107 Milliarden Kilowattstunden an Stromerzeugung gut, obwohl er 1988 wegen fehlender Erdbebensicherheit nach gerade 100 Tagen Regelbetrieb abgeschaltet werden musste. Nun möchte die Atomwirtschaft diese Laufzeit teilweise auf den Reaktor Biblis B übertragen und von dort an den Reaktor Brunsbüttel weiterreichen.

Doch dieser Trick dürfte kaum zum Erfolg führen, wie auch das Bundesumweltministerium umgehend feststellte: „Ein Blick ins Atomgesetz erleichtert die Rechtsfindung“, hieß es gestern süffisant aus dem Ministerium. Denn tatsächlich ist im Atomgesetz aufgezählt, welchen Reaktoren die Kontingente aus Mülheim-Kärlich zugeschlagen werden dürfen – und Brunsbüttel gehört nicht dazu.

Nun könnten die Atomfirmen zwar argumentieren, sie übertrügen schließlich nicht direkt auf Brunsbüttel, sondern nur auf Biblis B und dafür dessen Kontingente auf Brunsbüttel. Doch solche Umgehungstatbestände sind nach höchstrichterlicher Rechtsprechung und allen einschlägigen Kommentaren zum Bürgerlichen Gesetzbuch unzulässig. „Nicht wirklich real“ seien solche Szenarien, meint auch der Energieexperte der Grünen im Bundestag, Hans-Josef Fell.

Interessanterweise ist übrigens in den Planspielen nie von Biblis A die Rede gewesen – was man so interpretieren kann, dass sich die Atomwirtschaft mit dem Ende dieses einen Reaktors bereits abgefunden hat. „Die Stromwirtschaft hat keine Chance, die Abschaltung von Biblis A zu verhindern“, glaubt Fell. Dazu bedürfte es einer Änderung des Atomgesetzes. Zudem müsste bei einem Weiterbetrieb viel Geld für die Sicherheit ausgegeben werden: „Damit sind die Investitionshürden zu hoch.“

Gleichwohl hat die aktuelle Debatte eine neue Option aufgezeigt, die in der Ausstiegsdiskussion noch keine nennenswerte Rolle spielte. Bisher waren Befürworter wie auch Gegner des Atomausstiegs stets davon ausgegangen, dass die Reaktorbetreiber nur zwischen eigenen Anlagen Restlaufzeiten austauschen, um ihren Kraftwerkspark betriebswirtschaftlich zu optimieren. Inzwischen aber scheint sich die Branche so weit zu arrangieren, dass es denkbar wird, dass Kontingente von Reaktoren eines Konzerns auf Meiler eines anderen übertragen werden.

Dann würden die Kontingente zwischen den Firmen gehandelt und bekämen einen Marktwert – und dem steht das Atomgesetz nicht entgegen. Auf diese Weise könnte die EnBW ihren Reaktor Neckarwestheim I mittels freier Strommengen des abgeschalteten Eon-Meilers Stade noch länger am Netz behalten – und damit möglicherweise über die nächste Bundestagswahl retten. Die Energiekonzerne hoffen schließlich auf eine atomfreundlichere Regierung ab 2008.

Zudem planen sie, die Abschalttermine um das Jahr 2010 herum zu konzentrieren, um dann zu argumentieren, dass die annähernd gleichzeitige Stilllegung mehrerer Reaktoren nicht verkraftbar sei. „Energiepolitische Sonthofen-Strategie“ nennt das der grüne Umweltexperte Reinhard Loske – in Anlehnung an die einst von Franz Josef Strauß verkündete Politik des destruktiven Opponierens.

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