„Frauenfußball ist technisch besser“

„Ich finde es einfach Wahnsinn, wenn 60.000 Zuschauer beim Spiel die deutsche Nationalhymne mitsingen“ „Beim Frauenfußball ist es undenkbar, dass eine schwarze Spielerin ausgebuht oder als Affe beschimpft wird“

Bis zum WM-Titel ist es für die deutsche Elf noch ein weiter Weg. Dabei hat Deutschland bereits seine Fußballweltmeister. Weltmeisterinnen, um genau zu sein. Navina Omilade vom 1. FFC Turbine Potsdam holte mit der Nationalmannschaft 2003 den WM-Titel. Die 24-jährige Mittelfeldspielerin begann ihre Karriere in Mönchengladbach. Dort spielte sie zunächst nur mit Jungs im Verein – bis sie mit zwölf nicht mehr durfte. Erst dann erfuhr die Tochter eines Nigerianers vom Frauenfußball. 2004 gewann sie bei den Olympischen Spielen Bronze, 2005 wurde sie zum zweiten Mal Europameisterin. Bereits 2011 könnte Deutschland wieder WM-Austragungsort werden – dann für den Frauenfußball.

Interview FELIX LEE
und ULRICH SCHULTE

taz: Frau Omilade, wenn Sie ein WM-Spiel im Fernsehen schauen – gucken Sie anders zu, so als Nationalspielerin?

Navina Omilade: Sicher. Der normale Fan sagt sich ja oft: Ohh, ist der blöd, warum haut der ihn nicht rein! Ich denke dann eher, gut, der Ball ist aufgeditscht, der war schwer zu nehmen. Man kennt’s eben. Auch mir ist es schon passiert, dass ich eine „100 Prozent“ nicht verwandeln konnte

Morgen spielt Deutschland gegen Ecuador. Wird es Ihnen da genauso gehen?

Bei der deutschen Mannschaft kann ich nicht so objektiv bleiben. Da bin ich emotional viel zu stark involviert. Das Spiel in Dortmund gegen Polen war der helle Wahnsinn. Ich war mit meinem Freund im Stadion. Wir haben bei jeder verpassten Chance gebrüllt und sind bei dem Tor in der 92. Minute völlig ausgetickt. Das Spiel habe ich gelebt und nicht als Betrachterin verfolgt.

Sie sind also für das deutsche Team?

Klar. Ich bin ja Deutsche, ich liebe Fußball und fiebere total mit. Es würde mich wahnsinnig freuen, wenn die Jungs Weltmeister würden.

Und werden sie?

Hey, wenn ich so was voraussehen könnte, wäre ich steinreich – dann könnte ich ja wetten ohne Ende. Ich denke, sie werden weit kommen. Es ist toll, wie da jeder für jeden kämpft. Ein Rädchen greift ins andere. Außerdem trägt sie das Publikum. Eine solche Euphorie beflügelt einen ja auf dem Platz.

Echt? Bekommt man das überhaupt mit während eines Spiels?

Auf jeden Fall. Wir haben ja in Potsdam eine ganz ansehnliche Fan-Gemeinde. Das macht sehr viel aus. Nur Auswärtsspiele sind etwas trist. Da kommen manchmal nur 100 oder 200 Leute.

Obwohl das technische Niveau bei euch höher ist als bei den Männern, ist Frauenfußball längst nicht so akzeptiert. Warum?

So genau weiß ich das auch nicht. Wahrscheinlich liegt es an seiner kurzen Geschichte. Der DFB hat Frauenfußball 1955 verboten, weil die Herren meinten, das ist nichts für Frauen. Seit 1970 ist er wieder erlaubt. Aber erst in den vergangenen zehn Jahren hat sich viel getan.

Und was?

Früher haben die Männer gesagt: wie? Frauen? Die können doch nicht spielen. Inzwischen kommen tausende Zuschauer zu den Spielen, wichtige werden im Fernsehen gezeigt. Uns rufen Männervereine an und bitten, dass wir gegen sie spielen. Ihr spielt ja technisch versierter und schneller als wir, heißt es dann. Jetzt, während der WM, kommen viele Anfragen, ob ich etwas kommentieren kann.

Dennoch, wenn Sie jetzt das WM-Fieber beobachten: Wären Sie da – als Nationalspielerin – nicht gerne Nationalspieler?

Sagen wir es so: Alles hat Vor- und Nachteile. Den Druck vor Spielen, das Schnüffeln von Boulevardzeitungen im Privatleben, das muss ich nicht haben. Im Frauenfußball geht es schön ruhig zu. Niemand sagt uns, wie wir zu spielen haben. Und niemand reißt uns auseinander, wenn es mal nicht so gut läuft.

Und die Vorteile?

Hm. Die Vorteile, Mann zu sein, sind natürlich finanzieller Natur. Da liegen ja Welten zwischen. Und dass die Stadien ausverkauft sind, dass gar ein ganzes Land hinter dir steht – das bleibt den Männern vorbehalten.

Wird sich das ändern?

Wahrscheinlich erst, wenn ich schon lange nicht mehr spiele. Das ist noch ein weiter Weg. So etwas erleben vielleicht Mädchen, die gerade geboren sind.

Wie haben Sie angefangen, Fußball zu spielen?

Mit sechs Jahren habe ich zum ersten Mal mit einem Ball rumprobiert. Dann immer wieder mit meinem Vater, meinem älteren Bruder oder auf der Wiese mit den Jungs aus der Nachbarschaft.

Waren Sie besser als Ihr Bruder?

Kann man sagen. Er hat dann auch relativ früh aufgehört mit Fußball – war nicht so sein Ding. Mit einem Nachbarsjungen bin ich in die F-Jugend eines Vereins eingetreten, übrigens ein reiner Jungenverein – für Mädchen gab es Mitte der 80er in Mönchengladbach einfach kaum welche. Ich fand es auch toll, mit Jungs zu spielen. Später, mit zwölf Jahren, musste ich in ein Mädchenteam wechseln, unwillig. Mädchen, die können das doch gar nicht, sagte ich damals selbst. Ich lebte einfach sehr in meiner Jungenwelt. Ich wusste nichts von Frauenfußball.

Wie reagierte die Jungs auf Sie – das einzige Mädchen?

In meinem Team gehörte ich einfach dazu. Die Gegner meinten immer: Iiihhh, Ihr habt ja ein Mädchen dabei. Aber dadurch habe ich gelernt mich durchzusetzen. Im Sinne von: Wir sehen uns gleich auf dem Platz. Dann sagt ihr nichts mehr.

Sind Fußballerinnen tough?

Ja. Zwischen uns und den Mädchen, die Ballett tanzen, gibt es einen Unterschied. Es ist eine andere Welt.

Ist der Ton auch so ruppig wie unter Männern?

Unser Ton ist ab und zu wüst, wir kacken uns auch mal an. Das gehört dazu. Aber Männer pflegen untereinander schon ein anderes Niveau. Sprachlich. Bei uns wird auch weniger gefoult, es gibt weniger gelbe und rote Karten. Grätschen von hinten, anspucken oder Ähnliches gibt es überhaupt nicht.

Würden Sie gerne mal mit Ballack oder Lahm spielen?

Nein. Man kann Frauenfußball und Männerfußball nicht miteinander vergleichen. Wenn wir gegen Jungs spielen, sind wir spielerisch und technisch meist besser. Aber Jungs sind einfach schneller und robuster. Der legt sich den Ball einmal vor, und du kommst nicht hinterher. Das kapieren viele nicht. Vor ein paar Jahren haben wir mit der Nationalmannschaft gegen eine Stuttgarter B-Jugend verloren. Alle sagten: Die Weltmeisterinnen verlieren gegen eine B-Jugend. Dabei hinkt der Vergleich total.

Können Sie von Frauenfußball leben?

Nein. Wir sind Amateure. Ich studiere Sport und BWL, andere arbeiten oder gehen in die Schule. Fußball ist ein netter Nebenverdienst, mehr nicht.

Wie sieht bei Ihnen ein normaler Wochentag aus?

Am Vormittag und frühen Nachmittag gehe ich in die Universität, manche Kurse kann ich nicht belegen. Denn ab 17 Uhr ist Training, an fünf Tagen in der Woche. Am Wochenende sind die Spiele.

Was fällt dadurch aus im Leben?

Einiges. Freizeit. Ich mache fast nichts anderes als Fußball spielen. Erst Uni, dann Training, Woche für Woche, Jahr für Jahr. Jetzt gerade ist Spielpause, dafür sind wir mitten im Sommersemester. Und wenn die Semesterferien beginnen, geht die Saison wieder los. Aber wir Potsdamerinnen haben es noch gut. Unser Training beginnt früh, so ist wenigstens der Abend nicht hinüber.

Erkennen Leute Sie auf der Straße?

In Potsdam schon. Wenn ich nach einem gewonnenen Spiel einkaufen gehe, kommen immer wieder Leute an. Mit Conny Pohlers, meiner Freundin und Mannschaftskollegin, bin ich oft unterwegs. Ihr ist das eher unangenehm, sie wird dann schnell rot. Als wir neulich vor einer Großleinwand Fußball gucken wollten, sind wir prompt auf die Bühne gebeten worden, alle haben geklatscht. Das ist schon ein schönes Gefühl.

Kurz vor der WM wurde heftig über No-Go-Areas diskutiert, also Orte, die Menschen mit dunkler Hautfarbe wegen rechter Schläger besser meiden sollten. Was denken Sie darüber?

Die Diskussion ist berechtigt. Es gibt Regionen, die ausländisch aussehende Menschen meiden, weil sie Angst haben. Für Menschen mit anderer Hautfarbe wie mich ist das aber keine neue Erkenntnis. Man erzählt sich eben, du, geh da besser nicht hin.

Es gibt für Sie also in Potsdam Orte, an denen Sie zu bestimmten Zeiten nicht hingehen?

Meistens bin ich mit dem Auto unterwegs, entsprechend muss ich mir weniger Sorgen machen. Aber zu Fuß würde ich nachts schon einige Viertel meiden. Ich muss es ja auch nicht provozieren.

Ärgert es Sie nicht, dass Idioten so Ihren Lebensraum beschneiden?

Ich finde es schade, dass es solch dumpfe Gedanken in der heutigen Zeit noch gibt. Der Sport lebt doch vor, dass ein friedliches Miteinander bestens funktioniert. Man spielt gegeneinander, am Ende feiern alle zusammen. Als die Brasilianer im Olympiastadion gespielt haben – was war das für eine Riesenparty! Warum begreifen das die Menschen nicht auch im Alltag?

Wurden Sie wegen Ihrer Hautfarbe mal diskriminiert?

Nein, zum Glück nicht. Der Frauenfußball spricht aber eine andere Zielgruppe an. Hooligans gibt es nicht. Es wäre auch undenkbar, dass eine schwarze Spielerin ausgebuht oder als Affe beschimpft wird wie bei einem Spieler neulich in Leipzig. Solche Typen fühlen sich nur dann stark, wenn sie sich in der Masse verstecken können. Zu uns kommen nur 500 bis 1.000 Zuschauer. Da bietet sich erst gar nicht die richtige Plattform für so etwas.

Sie engagieren sich bei der Initiative „Football against Racism“. Das heißt, das Thema ist Ihnen ein Anliegen.

Die Organisation hat mich gefragt, ob ich bei einer Veranstaltung mal über meine Erfahrungen reden kann. Ich antwortete, dass mir noch nie was widerfahren ist. Trotzdem habe ich zugesagt. Denn warum soll man erst was sagen, wenn was passiert ist? Ich will vorher öffentlich sagen, dass ich Rassismus und Fremdenfeindlichkeit Scheiße finde.

Zur Fußball-WM entdecken die Deutschen plötzlich ihre Nationalfarben neu. Alle schwenken Schwarz-Rot-Gold, vor einigen Jahren wäre das in dem Ausmaß nicht denkbar gewesen. Wie finden Sie das?

Total super. Ich finde es einfach Wahnsinn, wenn 60.000 Zuschauer die Nationalhymne mitsingen – und neuerdings selbst die Spieler. Bis vor kurzem haben sie doch noch kaum ihre Lippen aufbekommen.

Kritiker fürchten, dass aus einem gesunden Patriotismus schnell ein hässlicher Nationalismus werden kann.

Natürlich besteht diese Gefahr nicht nur in Deutschland. Ich hoffe jedoch, dass er gesund bleibt.

Wird der neue Stolz ein Phänomen der WM bleiben?

Das hängt ganz vom Erfolg der deutschen Fußballmannschaft ab. Wäre sie in der Vorrunde rausgeflogen, hätte keiner mehr die Deutschlandfahne auf seine Motorhaube gehängt. Und wenn sie im Achtelfinale rausfliegen, wird der Patriotismus auch nicht von langer Dauer sein.

Was kommt nach Ihrer Fußballkarriere?

So genau weiß ich das noch nicht. Ich bin jetzt 24. Solange ich mich fit fühle, werde ich weiterspielen. Ich bin jetzt im achten Semester. Wegen Olympia, Europameisterschaften und sonstige Sachen brauche ich auch noch ein paar. Deswegen muss ich mir noch keine Gedanken machen, wie eine Welt nach dem Fußball aussieht.