Der Turnier-Praktikant

Sein Glück, eine Müllmannkluft tragen zu dürfen, währt fünf Wochen lang: Für einen Euro die Stunde säubert Marcel E. während der Fußball-WM das Fan-Fest in Hamburg. Die Hoffnung auf eine Festanstellung hat er noch nicht aufgegeben

von ELKE SPANNER

Die Sonne brennt, aber Marcel E. hat den Kopf mit einer schwarzen Schirmkappe geschützt. Mit der Rechten pickt er ein zerknülltes Taschentuch auf, die Linke hält einen Müllsack bereit. Marcel grinst. „Es freut einen, wenn hinterher alles schön sauber ist“, sagt er und widmet sich zwei Zigarettenkippen. Dass Müllmann mal sein Traumberuf sein würde, hätte der 53-Jährige früher auch nicht gedacht, aber die Zeiten ändern sich. Jetzt würde er gerne fest bei der Stadtreinigung arbeiten: Ein richtiger Vertrag, geregelte Zeiten, das wäre sein Traum. Marcel weiß, dass es auch einer bleiben wird. Sein Glück, die Dienstkluft der städtischen Müllmänner tragen zu dürfen, währt genau fünf Wochen lang: bis zum Ende der Fußball-Weltmeisterschaft. Sobald das letzte Spiel abgepfiffen ist, ist auch der Job für Marcel wieder vorbei.

Für einen Euro die Stunde ist der gebürtige Schweizer täglich mit der Müllzange auf dem Hamburger Heiligengeistfeld unterwegs. Er gehört zur Kolonne der 60 Arbeitslosen, die die Stadtreinigung zur Müllbeseitigung während der WM angeheuert hat. Die Gewerkschaften sind sauer, dass diesen Männern und Frauen keine sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungen angeboten wurden; sie selbst sprechen von „Sklavenarbeit“. „Was soll das denn sonst sein“, ruft ein Kollege herüber und streckt die Hände über Kreuz vor, als erwarte er das Anlegen von Fesseln. Aber er lacht. Auch er ist froh, überhaupt wieder mehrere Stunden täglich zur Arbeit unterwegs zu sein. „Ich bin 59 Jahre alt. Noch Fragen?“

Langzeitarbeitslose wie Marcel haben nicht nur das Problem, dass es kaum Stellen gibt und sie mit 20 Jahre jüngeren Bewerbern konkurrieren. Sie müssen zunächst darum ringen, überhaupt noch zum Kreis derer gehören zu dürfen, die der Agentur als vermittlungswürdig gelten. Marcel macht den 1-Euro-Job auch, „damit das Arbeitsamt sieht, dass ich willig bin“. Er findet gut, dass dieser Job bei der Stadtreinigung offiziell „Praktikum“ heißt, denn dafür bekommt er abschließend ein Zeugnis „und darin steht dann ja, dass ich arbeiten kann“. Er fügt sich perfekt ein in ein System, das Langzeitarbeitslosen Unwilligkeit unterstellt und ihnen den Beweis des Gegenteils abverlangt, und hat trotzdem kaum eine Chance. „Ich habe natürlich gehofft“, sagt Marcel und schiebt die Kappe auf seinem Kopf zurecht. „Aber man hat uns schon gesagt: Die Stadt stellt niemanden mehr ein.“

Fünf Wochen lang ist jetzt um sechs Uhr morgens Dienstantritt. Wenn er auf das Heiligengeistfeld kommt, „sieht es da aus wie im Krieg“: Scherben, überall. Und Papiermüll, Marcel versteht kaum, wie sich in so kurzer Zeit solch ein Berg ansammeln kann. Ob er wütend ist, dass andere die WM feiern und er ihren Dreck wieder wegmachen muss? Oh nein. Marcel lächelt verschmitzt. Die WM bietet ihm Gelegenheit, etwas Geld zu verdienen. Und damit meint er nicht nur seinen 1-Euro-Job. Das wirkliche Geschäft geht nach Feierabend los. Wenn der 53-Jährige um 14 Uhr Dienstschluss hat, kehrt er aufs Heiligengeistfeld zurück. Während die Fans zur Großleinwand strömen, bezieht er am Haupteingang Position. Dort sammelt er Pfandflaschen ein und bringt sie in einen Supermarkt. Denn nur mit dem 1-Euro-Job reicht das Geld natürlich nicht aus.

Marcel E. hätte sich auch gerne in seiner Dienstkluft abbilden lassen, so wie seine Kollegen. Möglich ist das nicht, denn es gibt Menschen, die selbst den Ärmsten noch das Letzte nehmen wollen: An dem Abend, als die deutsche Mannschaft das Spiel gegen Polen gewann, wollte ein Zuschauer Marcel seine Pfandflaschen wegnehmen. Er weigerte sich und wurde daraufhin so brutal zusammengeschlagen, dass er zurzeit arbeitsunfähig ist.