Heirat ohne Zwang

Mehrzahl der Experten bei Bundestagsanhörung gegen Änderungen im Strafrecht und beim Nachzugsalter

BERLIN taz ■ Alle sind gegen Zwangsheiraten – aber was ist der richtige Weg, sie zu verhindern und den Opfern zu helfen? Zu dieser Frage hörte der Bundestags-Familienausschuss gestern ExpertInnen an. Braucht man einen neuen Straftatbestand? Hilft der Unionsvorschlag, das Nachzugsalter für Ehegatten auf 21 Jahre anzuheben? Und was muss im Aufenthaltsrecht geregelt werden? Das waren die Hauptthemen, mit denen das Gremium sich befasste.

Bei der Frage nach dem Strafrecht blieben die meisten ExpertInnen leidenschaftslos. Schließlich sei die Zwangsheirat erst vor einem Jahr in den Nötigungsparagrafen aufgenommen worden, betonte etwa Dagmar Freudenberg vom Deutschen Juristinnenbund. Man solle doch die Wirkung des Gesetzes erst abwarten.

Das Nachzugsalter wollte allein die Soziologin Necla Kelek auf 21 Jahre erhöht sehen. Sie vertritt auch die CDU-Idee, den Frauen vor ihrer Einreise eine Sprachprüfung abzunehmen. „Ich gehe von der mündigen Bürgerin aus“, erklärte sie. Diese müsse sich auch in Anatolien einen Deutschkurs organisieren können. Mit 21 Jahren seien junge Frauen entscheidungsfähiger als mit 16 oder 18, betonte sie. Deshalb müsse das Nachzugsalter heraufgesetzt werden.

Dem widersprach Heiner Bielefeldt, Direktor des Deutschen Instituts für Menschenrechte. Schon der Schutz der Ehe in der Verfassung verbiete nach der Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht, dass Eheleute jahrelang warten müssten, bis sie ihre Ehe leben könnten. Insbesondere wenn Kinder vorhanden seien, die ein Recht auf beide Eltern haben, werde die Regelung hinfällig.

Christian Storr vom Amt des Ausländerbeauftragten in Baden-Württemberg verwies darauf, dass durch eine solche Regelung das Nachzugsalter für alle Ehepartner unzumutbar erhöht würde. „Das wäre eine allgemeine Zuzugsbeschränkung, das lehnen wir ab.“

Während Kelek versuchte, auch arrangierte Ehen als Unterart von Zwangsehen zu definieren, wollten sowohl Sidar Demirdögen vom Bundesverband der Migrantinnen als auch Jae-Soon Joo-Schauen von der Migratinnenorganisation Agisra dies anders gewertet wissen. Arrangierte Ehen kämen weltweit häufig vor und würden als normal empfunden. „Eine ähnliche Funktion haben in Deutschland Kontaktanzeigen“, meinte Joo-Schauen. Im Übrigen helfe „Mündigkeit“ den jungen Frauen auch nicht weiter: „Sie sind in einem Loyalitätskonflikt, sie wollen ihre Familie nicht verlieren“, so die Beraterin.

Für essenziell hielten die MigrantenvertreterInnen eher andere Dinge. Die Frauen brauchten einen sicheren Aufenthaltstitel, falls sie die Ehe auflösen wollten – und dies nicht erst wie bisher nach zwei Jahren. Wer in die Türkei verheiratet werde, dürfe nicht nach sechs Monaten seinen Aufenthaltstitel und damit die Möglichkeit zur Rückkehr verlieren. Es gebe keine flächendeckenden Beratungsstellen und Zufluchtswohnungen.

Viel wichtiger als Strafgesetze, die bisher übrigens kaum angewandt wurden, sei ohnehin die Prävention. Man brauche einen Aktionsplan, müsse Lehrer, Eltern und Ärzte für das Thema sensibilisieren und Kommunikationsräume schaffen, in denen Frauen ihre Lage überhaupt erst einmal reflektieren können. HEIDE OESTREICH