„Wir können auch Brasilien schlagen“

Warum ist Ecuador, Gegner der Deutschen, so stark? Verteidiger Ulises De la Cruz hat die Antwort

INTERVIEW KARIN GABBERT

taz: Herr De la Cruz, warum ist der ecuadorianische Fußball auf einmal so stark?

Ulises De la Cruz: Wir sind nicht plötzlich so stark geworden. Wir haben uns kontinuierlich verbessert. Wir haben uns zum zweiten Mal für die WM qualifiziert. Das hat uns sehr viel Selbstvertrauen gegeben.

Aber außer Ihnen spielt kein ecuadorianischer Spieler in einem europäischen Erst-Liga-Club. Und die ecuadorianischen Clubs spielen in der Copa Libertadores, der südamerikanischen Champions League, nur mäßig erfolgreich. Warum ist die Nationalelf nun so stark?

Weil wir uns entwickelt haben. Vor 2002 haben wir doch nie in Europa gespielt. Wir hatten keine internationale Erfahrung. Wir sind höchstens mal nach Venezuela gefahren. Mit der Qualifikation für die WM 2002 haben wir eine Mauer durchbrochen. Wir sind zum ersten Mal 14 Stunden zu einem Spiel gereist. Wir haben gelernt, mit dem Zeitunterschied klarzukommen. Und wir haben begriffen, dass es wirklich möglich ist, in europäischen Clubs zu spielen.

Viele haben vor der WM geschrieben, dass Ecuador nur in Quito, 2.800 Meter hoch, gewinnen kann. Ärgert Sie das?

Ja.

Aber Ecuador hat in der WM-Qualifikation doch nur die Heimspiele gewonnen.

Ja, und? Wir sind auswärts nicht schwach. Wir haben in Argentinien nur 1:0 verloren und zu Hause 2: 0 gewonnen. In Brasilien haben wir auch nur 1:0 verloren. Wir können es mit allen aufnehmen.

Nach dem Ausscheiden 2002 hieß es in Ecuador: „Wir haben gespielt wie nie und verloren wie immer.“ Diesmal läuft es anders. Warum?

2002 war unsere erste WM. Niemand hat damals viel von uns erwartet. Und trotzdem blieb ein süßsaurer Geschmack. Denn wir hätten besser sein können. Wir hätten weiter kommen können. Bei dieser WM sind die Erwartungen höher. Und die Gegner erscheinen uns nicht mehr so monströs. Jetzt haben wir Lust zu siegen. Das Land ist euphorisiert, die Spieler wollen Geschichte machen. Wir haben gegen Polen und Costa Rica gewonnen, und wir können noch mehr. Auch gegen Brasilien.

In Ecuador verdienen Profifußballer 3.000 Dollar im Monat. Das ist wenig, verglichen mit Europa, aber viel in Ecuador.

Ja, Fußball ist eine der wenigen Chancen, der Armut zu entrinnen. Die Liga in Ecuador ist seit 2000 besser geworden. Die Clubs zahlen mehr, die Spieler werden besser ausgebildet.

Seit 1995 ist jeder zehnte Ecuadorianer ausgewandert, vor allem nach USA und Spanien. Nur ecuadorianische Fußballprofis gibt es nicht in Europa. Warum?

Weil die europäischen Clubs nur den Fußball in Brasilien und Argentinien beobachten. Sie glauben nicht an den ecuadorianischen Fußball. Sie zahlen Millionen Dollar nur für einen Fußballer, den sie jahrelang analysiert haben. Wir dagegen beginnen erst, bekannt und respektiert zu werden.

Seit wann spielen Sie in Europa?

Seit sechs Jahren. In England war alles neu für mich. Klima, Sprache, Kultur. Wir leben hier allein in der Ferne.

Ist der englische Fußball anders als der ecuadorianische?

Oh ja. In England spielt man sehr körperlich. Es gibt wenig Ballkontakt. Es ist ein mechanischer Fußball, der nicht die Freude ausdrückt, die man gerne ausdrücken möchte. Und das Klima! Es regnet viel, und das beeinflusst auch die Art zu trainieren. Aber ich will ja ein besseres Leben und ein guter Spieler sein. Deshalb passe ich mich an.

Die ecuadorianische Zeitung Hoy schrieb kürzlich, die Nationalelf vermittle das Bild, in Ecuador würden nur Schwarze leben und jetzt würden erst recht keine Touristen kommen. Was denken Sie, wenn Sie so etwas lesen?

Dass wir in den Augen Gottes alle gleich sind. Aber der Rassismus existiert, und das ist schade.

Glauben Sie, dass Fußball gegen Rassismus hilft?

Ja, es gibt in Ecuador ein bisschen weniger Rassismus als früher. Und wir sind nicht nur Fußballer, wir wollen auch die Dummheit bekämpfen, die der Rassismus ist. Dabei brauchen wir viel Geduld.

Warum?

Weil wir Schwarze in der Nationalelf im Moment das Bild der Nation repräsentieren – im Moment. Wenn wir gewinnen, werden wir ernst genommen. Wenn wir verlieren, sieht die Sache anders aus.

Sie haben eine Stiftung gegründet, um Kindern in Ihrem Herkunftsdorf im Chota-Tal zu helfen. Woher kommt dieses soziale Engagement?

Das ist einfach menschlich. Es ist ein Dank an Gott für die Möglichkeit, vom Fußball zu leben. Und ich habe nicht vergessen, wie schwer es ist, ohne Trinkwasser und Bildung zu leben. Das vergisst die Regierung – ich nicht.

Was macht Ihre Stiftung?

Ich habe eine Schule mit 208 Kindern. Sie lernen Englisch, Sport, Kunst, Mathematik. Sie bekommen Frühstück, Mittagessen, Uniformen und Bücher.

Das können Sie wegen Ihrer Fußballkarriere tun. Wahrscheinlich wollen doch die Jugendlichen in Ihrem Dorf nun erst recht alle Fußballprofis werden?

Ja, sie träumen alle vom Fußball. Aber ich versuche ihnen zu sagen, dass nicht alle den gleichen Traum haben können.

Wovon sollen sie träumen?

Sie sollen General, Arzt und Ingenieur werden wollen. Natürlich sind die Möglichkeiten begrenzt. Aber man muss sie unterstützen. Man muss es versuchen.