Rennen um Ausbildungsplätze beginnt

Die große Koalition setzt das Klinkenputzen für Lehrstellen fort. Die Gewerkschaften glauben nicht mehr an Appelle, aber auch nicht mehr an ein Zwangsumlagegesetz. Stattdessen müsse eine brancheninterne Ausbildungsumlage wie im Bau her

VON ULRIKE WINKELMANN

Unbeirrt von der anhaltenden Lehrstellennot setzt Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU) auf dasselbe Rezept wie sein Vorgänger Wolfgang Clement von der SPD: den „Ausbildungspakt“ mit der Wirtschaft. Glos erklärte gestern vor geladenen Arbeitgebervertretern: „Ich bin zuversichtlich, dass die Ziele des Ausbildungspaktes auch in diesem Jahr nicht nur erreicht, sondern wiederum übertroffen werden.“

Glos begründet seinen Optimismus mit den Zahlen der Industrie- und Handels- sowie der Handwerkskammern. Demnach wurden bis Ende April über 2 Prozent mehr neue Ausbildungsverträge geschlossen als zur selben Zeit im Vorjahr. Daraus schließt Glos, dass die Ausbildungslücke zum Herbst jedenfalls nicht wachsen wird. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit ist allerdings die Zahl der Ausbildungsplätze seit Oktober 2005 schon wieder um 2 Prozent geschrumpft, während die Zahl der Bewerber um 3,4 Prozent auf 626.154 stieg. Ende Mai waren fast 46.000 Bewerber mehr ohne eine Lehrstelle als im Mai 2005.

Damit zum Beginn des Ausbildungsjahrs im Herbst nicht mehr Bewerber auf der Straße stehen als in den vergangenen zwei Jahren des Pakts, wird die Regierung nun verstärkt bei den Betrieben und Verbänden Lehrstellen einwerben – ein Vorgang, den Glos im Kabinettsbericht jüngst „Klinkenputzen“ nannte. Der Klinkenputz-Pakt wird um drei Jahre verlängert.

Die neue Vizechefin des Gewerkschafts-Dachverbands DGB, Ingrid Sehrbrock, eine Christdemokratin, erklärte gestern dagegen die „alten Appell-Veranstaltungen“ für gescheitert. Schon im vergangenen Jahr hätte sich trotz Pakt die Ausbildungslücke nach einem Zwischenhoch 2004 wieder vergrößert. Erstmalig rutschte so die Quote der Schulabgänger, die mit einer Lehrstelle versorgt wurden, unter 60 auf 58 Prozent. Die Latte des Pakts, der 30.000 neue Lehrstellen pro Jahr verlangt, „ist zu niedrig gehängt worden“, sagte Sehrbrock.

Sehrbrock und ihre CDU-Kollegin Regina Görner aus dem Vorstand der IG Metall plädierten gestern für eine brancheninterne Umlage, mit der nicht ausbildende Betriebe die ausbildenden Betriebe unterstützen. Ein Gesetz für eine „Zwangsumlage“, das SPD-Linke und Gewerkschaften noch 2004 forderten, fanden sie nicht so dringend. Vorbild sei vielmehr der Bau, der seine Ausbildungsbetriebe erfolgreich mit einer eigenen Umlage unterstütze.

In der Bauwirtschaft beschlossen Gewerkschaften und Arbeitgeber 1975, dass Betriebe eine Ausbildungsabgabe zahlen. Die betrug bislang 2 Prozent der Lohnsumme und wuchs 2006 erstmals auf 2,5 Prozent. Vergangenes Jahr wurden über 270 Millionen Euro an 16.500 ausbildende Betriebe ausgeschüttet. Gegen das Verfahren, sagte gestern Peter John, Abteilungsleiter für berufliche Bildung bei der Gewerkschaft IG BAU, gebe es seit der Einrichtung „keinen ernst zu nehmenden Widerstand der Arbeitgeber“. Er empfehle die „charmante Lösung“ weiter.

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