Spitzel sitzt auch an Berliner Tafel

Der Verfassungsschutz hat das Berliner Sozialforum umfassend ausspioniert. Selbst Treffen mit der Armenspeisung wurden dokumentiert, sagt FU-Politologe nach Akteneinsicht. Grüne: Amt auflösen

von FELIX LEE

Der Verfassungsschutz hat das Berliner Sozialforum offensichtlich weitaus intensiver bespitzelt, als es bislang zugibt. Dies berichten übereinstimmend der FU-Politologe Peter Grottian sowie der Fraktionschef der Grünen, Volker Ratzmann. Ratzmann sprach von „systematischer Ausspitzelung“. Beide durften gestern entsprechende Akten des Verfassungsschutzes einsehen. Als Konsequenz forderten sie die Auflösung des Landesamtes für Verfassungsschutz.

Vor anderthalb Wochen war bekannt geworden, dass das dem Innensenator unterstellte Amt über Jahre hinweg Grottian und das Berliner Sozialforum beobachtet haben soll. Das Forum hat seit 2003 vor allem die außerparlamentarischen Proteste gegen Hartz IV organisiert. Zunächst hatten die Verfassungsschützer die Vorwürfe komplett zurückgewiesen. Später gab es die Bespitzelung zu. Beobachtungsziel seien jedoch nur autonome Gruppen gewesen, die das Forum unterwandern wollten, hatte Verfassungsschutzsprecher Claus Guggenberger gesagt. Dabei sei eine „notwendige Differenzierung nicht ausreichend beachtet“ worden. Dabei blieb Guggenberger auch gestern. Er wolle „keine von Herrn Grottian erhobenen Vorwürfe kommentieren“. Alle entsprechenden Vorgänge würden aber einer „umfassenden Überprüfung unterzogen“. Das Ergebnis werde dem heute tagenden parlamentarischen Verfassungsschutzausschuss mitgeteilt.

Auch Grottian hatte zur Klärung Akteneinsicht beantragt. Gestern wurden ihm nach eigenen Angaben rund 80 Seiten vorgelegt. Darauf seien nur die Passagen des Gesamtberichts dokumentiert gewesen, in denen sein Name auftauchte, berichtete der Professor. Schon aus diesen Auszügen gehe hervor, dass „eine generalistische Ausforschung des Sozialforums vorliegt“.

Er habe zwar keine Ausforschung seiner Person im Speziellen feststellen können, so Grottian. Es sei jedoch deutlich zu erkennen, dass die Beobachtung bereits vor Gründung des Sozialforums begonnen und sämtliche Aktivitäten umfasst habe. Dokumentiert seien sowohl die Diskussionen um einen alternativen Kreuzberger 1. Mai als auch die Initiative Bankenskandal oder die Vorbereitung sämtlicher Demonstrationen der vergangenen vier Jahre. Auch das von Teilen des Sozialforums initiierte Volksbegehren zur Abwahl des rot-roten Senats und sämtliche Diskussionspapiere seien ins Visier genommen worden. Selbst harmlose Treffen wie mit der Berliner Tafel, die Lebensmittel für Bedürftige sammelt, seien vom Verfassungsschutz verzeichnet worden.

Zugleich beschwerte sich Grottian über die schlechte Qualität der Berichte. Namen seien falsch notiert und Diskussionen missverstanden worden. Auch an Rechtschreibfehlern wimmele es in den Texten. Der FU-Politologe sprach von „blindwütigem Dilettantismus“.

Grünen-Chef Ratzmann geht davon aus, dass Innensenator Ehrhart Körting (SPD) vom Umfang der Bespitzelung seit langem gewusst hat. „Es ist ein richtiger Hammer“, sagte Ratzmann. Für ihn stehe fest, dass dieses Landesamt in dieser Form nicht fortbestehen dürfe. Wenn diese Behörde demokratisch nicht unter Kontrolle zu kriegen sei, so Ratzmann, „muss über eine Abschaffung diskutiert werden“. Zumindest müsse künftig der Einsatz aller nachrichtendienstlichen Mittel vom Parlament genehmigt werden.