Die unwürdige Lady

„Lady Henderson präsentiert“ von Stephen Fears

Die Briten sind mit einem natürlichen Reichtum an Exzentrikern gesegnet, und sie hegen und pflegen diese in ihren Institutionen, Gebräuchen und Geschichten. Von den seltsamen englischen Käuzen lässt man sich überall auf der Welt immer wieder gerne erzählen, und über die komische, resolute und meist etwas stämmige Lady kann man schon bei den Romanen von Jane Austen lachen. In den fünfziger Jahren wurde sie wunderbar von Margaret (Mrs. Marple) Rutherford verkörpert, und als deren würdige Erbin entpuppte sich dann Mrs. Judi Dench, seit sie in „Mrs. Brown“ die Queen Victoria spielte. Und wie diese hat es auch Mrs. Henderson wirklich gegeben. Als die reiche Witwe eines höheren Kolonialbeamten kam sie aus Indien zurück nach London, langweilte sich dort sehr schnell und kaufte, nur um sich die Zeit zu vertreiben, ein altes, heruntergekommenes Theater in Soho. Zusammen mit dem Theaterleiter Vivian Van Damm hatte sie zuerst die brillante Idee, dort Tag und Nacht eine „Non Stop Revue“ mit Kleinkunst und Tanznummern zu präsentieren. Ihr „Windmill Theater“ wurde ein Hit, aber bald machte es Verluste, bis Mrs. Henderson ihre große, ganz und gar nicht damenhafte Inspiration hatte, und nackte Mädchen auf der Bühne präsentierte. Im prüden Großbritannien war dies natürlich eigentlich ganz und gar verboten, aber Mrs. Henderson war nicht nur mit dem obersten Zensoren des Landes, dem Lord Chamberlain, gut befreundet, sie fand auch ein Schlupfloch in den Gesetzen, denn genauso wie ja Aktgemälde in den Museen hängen durften, müsste es doch Kunst sein, wenn die nackten Körper völlig unbeweglich auf der Bühne gezeigt würden. So gab es auf der Bühne im Laufe einer Vorstellung verschiedene „künstlerische Tableaus“ von jungen, attraktiven unbekleideten Frauen zu sehen, für die das „Windmill Theater“ in Soho bis in die frühen sechziger Jahre hinein berühmt und berüchtigt war.

Diese Kuriosität der englischen Kulturgeschichte beschreibt Stephen Frears nun im altmodisch-gemütlichen Stil der britischen Komödien der fünfziger Jahre. Die größte Überraschung dabei ist, wie dezent, ja keusch der einst so provokante Regisseur von Filmen wie „Sammy & Rosie tun es“ oder „Gefährliche Liebschaften“ hier die Hüllen fallen lässt. Der einstige Skandal wirkt heute anrührend, und die Blicke der jungen Männer im Publikum sind nicht etwa lüstern, sondern eher voller naiver Ehrfurcht. Frears ist auch kaum an diesem historischen Tabubruch interessiert und so erspart er sich und uns die allzu vorhersehbaren Szenen von puritanischen Eiferern, die gegen das Theater protestieren. Stattdessen konzentriert er sich ganz auf die in ihrer Sturheit ganz und gar britische Mrs. Henderson und ihre Beziehung zum Theatermanager Van Damm. Dieser mag zwar eine nicht jugendfreie Show organisieren, aber dabei sieht er immer wie aus dem Ei gepellt aus und benimmt sich wie ein Gentleman, auch wenn er beim Casting neuer Darstellerinnen große Stielaugen bekommt. Er und Mrs. Henderson haben ein zugleich reserviertes und hoch leidenschaftliches Verhältnis miteinander. Einerseits dauert es Jahre, bis sie erfährt, dass es auch eine Mrs. Van Damm gibt, andererseits genießen die beiden ihre ständigen Reibereien so sehr, dass Mrs. Henderson einmal eine erschrockene Angestellte anherrscht, sie solle „den schönen Streit“ nicht stören. Judi Dench gelingt es in dieser Rolle, zugleich souverän und komisch zu sein, und mit Bob Hoskins in der Rolle Van Damms hat sie einen idealen Mitspieler. Den beiden gemeinsam gelingen einige sehr anrührende und intime Szenen, wie man sie in einer nostalgischen Komödie kaum erwarten würde. Wilfried Hippen